Hilfsbuch zur Gründung,

Leitung und Kontrolle von Volksküchen

Lina Morgenstern

Die Unterstützungskasse zur Speisung Notleidender in den Volksküchen von 1866

Unabhängig vom Verein der Berliner Volksküchen von 1866, besteht die Unterstützungskasse aus den Zinsen der Kaiserin Augusta-Stiftung, der Henriette Krausestiftung, Geschenken von Wohltätern, und den Jahresbeiträgen der Mitglieder.

Sie wurde zu dem Zweck begründet, weil der Verein als solcher, der seine Anstalten durch den Konsum erhalten soll, nicht Speisen verschenken darf. Es liegen aber stets und namentlich im Winter, zahlreiche Bittschriften hungernder Familien und einzelner Personen vor, die um eine unentgeltliche Verabreichung von Volksküchenessen als große Hilfe in der Not ersuchen. Diesen, namentlich hilflosen Kranken, rechtzeitig Linderung ihres Elends zu bringen, dient die Unterstützungskasse. Sie wurde bisher verwaltet von Frau Lina Morgenstern, als deren Vorsteherin, von Frau Ida Oberwarth, als Kassenführerin.

Frau Morgenstern, an welche die Bittgesuche zu richten sind, führt über die unterstützten Familien Buch nach alphabetischer Ordnung, übergibt die Gesuche denjenigen Damen, welche sich des beschwerlichen Amtes unterziehen, die sich meldenden Familien und einzelnen Personen in deren Behausung aufzusuchen. Sie schreibt das Resultat der Untersuchung in das Buch, und ebenso die Zahl der Speiseportionen und die Küche, auf welche Anweisungen ausgeteilt werden.

Formular einer Anweisung für bedürftige Familien

Ebensolche Formulare sind für die Abendspeisungen.

Untersuchungen der einzelnen Fälle sind unbedingt notwendig, damit nicht gewerbsmäßige Bettler oder notorische Arbeitsscheue die Wohltat erhalten, sondern wirklich Notleidende.

Ebenso notwendig ist es, dass die einzelnen Vorsteherinnen die an sie gerichteten Gesuche an diejenige Dame senden, welche das Buch über die Gesuche führt, damit nicht eine Familie von mehreren Seiten zugleich Anweisungen erhält, da solcher Missbrauch oftmals vorgekommen ist. Unter den Hunderttausenden von Familien, welche seit Gründung der Unterstützungskasse berücksichtigt wurden, kann man wohl annehmen, war mindestens die Hälfte durch Arbeitslosigkeit, die Hälfte durch Krankheiten in die Notlage gekommen, darunter befindet sich ein großer Teil eheverlassener und verwitweter Frauen mit einer großen Anzahl Kinder.

Die Anweisungen, auf welche die Verabreichung der Speisen erfolgte, werden von den Kassenführern im Zentralbüro der Volksküchen eingelöst.

Alljährlich verteilen wir am 11. Juni, dem Hochzeitstag des verewigten 1. Kaiserpaares, und am 30. September, dem Geburtstag der hochseligen Kaiserin Augusta und am 25. November, dem Geburtstag der Vorsitzenden je 400 Portionen, also zusammen 1.200 Portionen an Notleidende. Im Ganzen werden alljährlich 10 – 15.000 Portionen Speisen gratis verabreicht.

Vor einigen Jahren, ehe noch eine gesonderte Unterstützungskasse bestand, machte Herr Ludwig Meyer eine höchst wohltätige Zuwendung, welche er »Biancastiftung« im Andenken an seine verstorbene Frau genannt wissen wollte. Er gab in vierteljährigen Raten die Gesamtsumme von 1.000 Mark, um schwangere Frauen bis zu ihrer Entbindung durch Volksküchenessen kräftig zu nähren. Die bedürftigen Frauen sind meist vom Verein für häusliche Gesundheitspflege geprüft und der Vorsitzenden durch ein Vorstandsmitglied jenes Vereins zugewiesen worden. Von der Biancastiftung erhielten 150 Frauen Unterstützungen. Später gab Herr Meyer der Unterstützungskasse nochmals 40 Mark von Herrn von Cramm-Burgsdorff.

Nachdem die Unterstützungskasse zur Speisung Notleidender in den Volksküchen von 1886 gesondert, von der Verwaltung des Vereins von den Vorstandsdamen geleitet wird, bestehen die Einnahmen an Jahresbeiträgen und Geschenken alljährlich aus circa 3.000 Mark, wobei die Zinsen der Kaiserin Augusta-und Henriette Krausestiftung, die alljährlichen Geschenke 100 Mark von Kaiserin Auguste Victoria, 100 Mark von der isr. Ressource von 1795 und Geschenke und Jahresbeiträge von Mitgliedern sind. Bis auf ein kleines Saldo wird dieser Betrag alljährlich in Anweisungen auf Speisen für bedürftige Familien und Einzelne verausgabt. So erleichtern indirekt die Berliner Volksküchen die Not von vielen Tausenden Hungernder, ohne direkt Unterstützungen zu verteilen.