Die Volksküchen von 1891 bis 1900
Acht Jahre lang hatte Kreisgerichtsdirektor Heisert den ersten Vorsitz im Verein, da zwang ihn Krankheit, zum Bedauern Aller auszuscheiden, schon ein Jahr später erlag er seinen Leiden. Justizrat Prof. Leonard Jacobi wurde als sein Nachfolger gewählt und übte sein Ehrenamt mit treuer Hingabe von 1890 bis 1896, wo seine schwere Erkrankung ihn zum Rücktritt veranlasste. Nach ihm wurde Justizrat E. Frentzel Vorsitzender, der jedoch zum schmerzlichen Bedauern aller Vorstandsmitglieder dem Verein durch den Tod im September 1898 nach monatelanger Krankheit im blühenden Mannesalter entrissen wurde. Drei Jahre hatte der Verewigte den Zentralvorstand als Vorsitzender mit Umsicht und tätiger Hingabe an unser gemeinnütziges Werk geleitet und sich die Sympathie und Verehrung aller Mitwirkenden erworben. Wir gedenken seiner in aufrichtiger Trauer und ein ehrenvolles Andenken ist ihm in unsrem Verein gesichert.
Nach unserem Statut hatte der Zentralvorstand eine Neuwahl für den Verstorbenen zu treffen, die bis zur Generalversammlung gültig ist. Sie fiel auf Herrn Kammergerichtsrat Eichelbaum, der zu unserer Freude das Ehrenamt annahm und seither mit tätiger Teilnahme und erfreulichem Interesse für unsere Anstalt den Vorsitz im Zentralvorstand führt.
Noch hatte der Verein den Tod des stellvertretenden Herrn Stadtrat Röstel zu beklagen, der 1894 seinem segensreichen Wirken entrissen wurde. Als stellvertretender Vorsitzender wurde dann der seitherige Schriftführer, Herr Sanitätsrat Dr. Blaschko gewählt, der dem Verein seit zwei Jahrzehnten seine treue Hingabe gewidmet hatte. Auch in dem neuen Ehrenamt zeigte er sich als ein tatkräftiges Mitglied, bis auch ihn der Tod 1899 dahinraffte. Noch einen Abend vorher hatte er einer Sitzung im Herbst 1899 mit lebhafter Teilnahme beigewohnt. Erst in der Generalversammlung von 1900 wird eine Neuwahl für den schmerzlich vermissten stellvertretenden Vorsitzenden stattfinden.
Im Jahre 1896 hatte der Verein den Tod seines Schatzmeisters Herrn Jürgens zu beklagen, an dessen Stelle Kommerzienrat Martin Friedländer gewählt wurde. Herr Theodor Morgenstern als Kassenkurator und Herr Friedländer erfüllen mit Eifer und Umsicht die Aufgaben der Kontrolle des Zentralbüros.
Nachdem Herr Bauinspektor Buf 1892 nach Halle versetzt war, wurde Baumeister Rudloff in den Vorstand als technischer Direktor gewählt, der seine freiwillige Tätigkeit in anerkennenswerter Weise heute noch ausübt. Schriftführer wurde nach Sanitätsrat Dr. Blaschko Herr Heinrich Edel, der bei jeder Gelegenheit ein warmes Interesse für alle Einrichtungen des Vereins betätigte und auch der Unterstützungskasse Zuwendungen machte.
Von den drei weiblichen Mitgliedern des Zentralvorstandes üben Frau Morgenstern und Frau Maria Gubitz noch heute ihre Tätigkeit als Vorsitzende und deren Stellvertreterin aus, während Frau Dr. Sachs aus Kränklichkeit sich veranlasst sah, das Schriftführeramt, 1896, niederzulegen, nach ihr übernahm Fräulein E. Grelling, die Vorsteherin der 4. Volksküche, kurze Zeit das Amt der Schriftführerin, bis die Wahl auf Frau Dr. Nixdorf fiel. Diese sah sich veranlasst, wegen ihrer Übersiedelung nach einem Vorort, 1899, zurückzutreten. An ihre Stelle kooptierte der Vorstand Fräulein Julie Thiede, die nach Auflösung der Volksküche in Moabit nicht mehr Vorsteherin war.
Im Jahre 1892 starb Herr Baron Geheimer Kommerzienrat Gerson von Bleichröder, welcher dem Verein der Volksküchen seit seiner Gründung eine sich betätigende Teilnahme zugewendet hatte, ebenso seine verewigte Gattin. Beide beteiligten sich bei dem Gründungskapital im Jahre 1866. Nach seinem Tode widmeten seine Kinder dem Verein die hochherzige Spende von 10.000 Mark mit folgendem Begleitschreiben:
An
den Verein der Berliner Volksküchen,
zu Händen
des Herrn Justizrat Dr. Leonard Jacobi,
hier.
Unser am 19. Februar des Jahres verstorbener geliebter Vater, der Geheime Kommerzienrat und Großbritannische Generalkonsul Herr Gerson von Bleichröder, ist durch die schnell entwickelte letzte Krankheit behindert gewesen, besondere Legate, wie er sich noch vorbehalten hatte, zu bestimmen. Wir halten uns verpflichtet, in seinem Geiste der Wohltätigkeit ergänzend einzutreten.
Entsprechend einer von unserem Vater geäußerten Absicht, überweisen wir Ihnen zehntausend Mark, als einen Beitrag zur Errichtung einer Mustervolksküche. Sollte dieser Zweck innerhalb zehn Jahren nicht erreicht werden, so ist das Kapital mit den angesammelten Zinsen zu einer Gerson von Bleichröder-Stiftung zu verwenden, aus deren Erträgnissen die Speisung von Armen in den Volksküchen nach näherer Bestimmung des geehrten Vorstandes zu bestreiten ist.
Wir bitten uns mitzuteilen, an wen die Auszahlung des Kapitals erfolgen kann.
Hochachtungsvoll
Hans von Bleichröder,
zugleich im Auftrage seiner Geschwister.
Erst im Jahre 1895 gelang es, eine solche Musterküche durch Verlegung der dritten Speiseanstalt des Vereins von der Rosenthalerstraße 40, nach Bahnhof Börse, Stadtbahnbogen 10 / 11 anzulegen. Es ist von Jahr zu Jahr schwieriger, passende Lokalitäten für die Volksküchen zu bekommen, da die Kellerräume nicht mehr zeitgemäß und fast immer von der Baupolizei beanstandet werden und Parterrelokale in der Größe und in Gegenden, wie wir sie brauchen, unter 3 – 4.000 Mark selten zu haben sind und auch da nur in der Peripherie der Stadt. So waren wir zufrieden, in einem geräumigen Stadtbahnbogen die 3. Küche möglichst musterhaft einrichten zu können. Die damalige Vorsteherin, Fräulein Gertrud Bodstein, legte ihr Amt, als sie sich vermählte, 1896, nieder, und Frau Lina Basch wurde Vorsteherin der 3. Küche.
Ein großes Verdienst um das so gute Gedeihen der Volksküchen und dem in ihnen herrschenden sittlichen Ton erwerben sich jederzeit die tätigen Vorsteherinnen und Ehrendamen, welche ihre Zeit und Kraft mit warmen Eifer denselben widmen und eine so eingehende Kontrolle üben, dass Veruntreuungen und Unregelmäßigkeiten zu äußerst seltenen Fällen gehören. Die Arbeit der Vorsteherinnen besteht in Geschäftsführung und Beaufsichtigung der betreffenden Küche. Sie bestellt die Vorräte, kontrolliert deren Beschaffenheit und Verbleib, prüft die tägliche Berechnung der Speisen und die Rechnungen der Lieferanten, ehe ihnen Zahlung angewiesen wird, sie kontrolliert die Führung der Küchenbücher und führt selbst Buch. Die Vorsteherin hat ferner die Leute in der Küche zur Sauberkeit anzuhalten und zu sorgen, dass die Küchen und Speiseräume wie auch die Feuerungsanlagen und die Koch- und Essgeschirre in stets gutem Zustand seien. Zeitig müssen notwendig gewordene größere Reparaturen dem Zentralbüro von ihr angezeigt werden, damit der technische Leiter des Vereins sie prüfen und ausführen lassen kann. Das Ehrenamt einer Vorsteherin ist also mit sehr vielen Arbeiten verknüpft und das Gedeihen wie die Güte und der Erfolg einer Küche hängt wesentlich von der leitenden Vorsteherin ab. Je eifriger, wachsamer und gewissenhafter diese ist, um so pflichttreuer wird auch das gut kontrollierte Dienstpersonal sein. Die Kontrolle über dieses und über die Speisen wird noch verschärft durch die Inspektionen der drei Zentralvorstandsdamen, die abwechselnd mit Vorsteherinnen, unter Hinzuziehung von Ehrendamen, die sämtlichen Volksküchen inspizieren und über diese Inspektionen Bericht in den alle 14 Tage bis 3 Wochen unter dem Vorsitz von Frau Morgenstern stattfindenden Sitzungen des Frauenvorstandes abstatten.
Die Ehrendamen verabfolgen täglich abwechselnd die Portionen am Anrichtetisch an das Publikum und überzeugen sich vorher von der Güte der Speisen und der Ordnung in Küche und Speiseräumen. In den meisten Fällen wird die Fürsorge dieser tätigen Ehrendamen von den Speisenden anerkannt und trägt zu deren gutem Verhalten bei, zuweilen gehört auch viel Überwindung dazu, auf diesem Posten, der auch mit körperlicher Anstrengung verbunden ist, jahrelang auszuharren! Um so dankbarer ist die Ausdauer solcher Damen anzuerkennen, von denen einige, wie Frau Dr. Valeska Rosenstein, geb. Heimann, bereits nach Begründung des Vereins 1866, Frau Selten seit 1868 als Ehrendame in die 1. Volksküche trat und Fräulein Johanna Degner seit 1868 Ehrendame in der 10. Volksküche ist. Bedauerlich ist, dass es immer schwieriger wird Damen für dies Ehrenamt zu finden, am Sonntag sind die meisten unserer Speiseanstalten ohne Aufsicht derselben, der Rechtschaffenheit der Wirtschafterin überlassen, ebenso finden sich selten Damen, welche die Abendspeisungen überwachen. Um so notwendiger ist es, dieselben oftmals durch die Vorstandsdamen und Vorsteherinnen zu inspizieren.
Ein wichtiger Beschluss war der Transport der Volksküchenspeisen nach den Fabriken im Jahre 1896. Dieser Vorschlag war von uns dem Herrn Kaufmann Herm. Heinen hier, und den Fabrikanten der patentierten geheizten Speisetransportwagen, Herren Brückmann u. Co. in Düsseldorf gemacht, welche bereits in Berlin wie in anderen Städten unternommen hatten, die Einzelportionen aus den Arbeiterfamilien in die Fabriken zu liefern.
Nach eingehenden Beratungen und Vereinbarungen wurde Anfang Januar 1896 damit begonnen vermittelst geheizter Transportwagen ganze und halbe Portionen in verschiedene Fabriken zu senden je nach den auf die versandten Zirkulare eingegangenen Meldungen von Arbeitern. Ein Risiko übernahm unser Verein nicht. Im ganzen wurden bis Mitte April 6.928 ganze Portionen und 15.390 halbe Portionen aus den Volksküchen per Transportwagen verkauft. Bei dieser Speisenversendung machte der Verein ganz neue Erfahrungen, Die Arbeitgeber kommen durchweg sehr bereitwillig entgegen, ihren Arbeitern und Beamten die guten billigen und gesunden Speisen der Volksküche zukommen zu lassen. Die männlichen Arbeiter waren leichter zu befriedigen als die weiblichen; im allgemeinen stellte es sich aber heraus, dass Hülsenfrüchte, die in den Küchen mit Vorliebe genossen werden, am wenigsten von den Frauen in den Fabriken verlangt wurden und dass man am liebsten täglich hätte Kartoffeln mit gebratenem Fleisch essen wollen. Anerkennung verdiente welche Mühe sich die Vorsteherinnen unserer Küchen mit der täglichen Überwachung der zu transportierenden Speisen gaben. Jeder Speisende erhielt ein appetitliches Gefäß aus zwei Töpfen bestehend, zwischen denen ein kleines Lämpchen angebracht ist, um die Speisen, im Falle sie nicht gleich gegessen werden können, nochmals zu erwärmen.
Die Reinigung dieser Gefäße nahm viel Zeit und eine besondere Hilfsfrau in Anspruch und das Einfüllen musste mit der Größten Sorgfalt geschehen. Das Essen wurde bisher eine Zeit lang aus der 2., später aber nur aus der 3., 5., 15. Volksküche und der Frauenküche entnommen; da der Konsum sehr wechselte, sich bald verminderte, bald vermehrte, so bereitete die Herstellung doppelte Schwierigkeiten, denn das Essen wurde früher abgeholt als zur Zeit der Fertigstellung der Speisen in den Küchen. Es war die gute Absicht, den Arbeitern eine Erleichterung zu verschaffen, doch nur ein Jahr konnte diesem Unternehmen Opfer gebracht werden, denn da die Arbeiter verlangten, dass wir die Firma unseres Vereins der Volksküchen von 1866 von den Transportwagen entfernen, da sie aus keiner Wohlfahrtsanstalt Speisen kaufen wollen, gaben wir den Transport der Speisen auf.
Justizrat Frentzel stellte bei seinem Eintritt als Vorsitzender den Antrag, dass der Verein sich bei der Gewerbeausstellung von 1896 in Treptow durch Aufstellung einer Volksküche beteilige, die während der Zeit der Ausstellung in Betrieb erhalten und die Leistungen unserer Speiseanstalten für Volksernährung zeigen sollte. Doch war bereits von dem Vorstand jener Ausstellung, Herren Kühnemann, Geheimer Kommerzienrat Goldberger und Herrn Dörffel das Monopol der Ausstellung für Volksernährung gegen eine Einzahlung zum Garantiefonds Herrn Hermann Abraham, dem Begründer der Israelitischen und der Kinder-Volksküchen übergeben worden.
Nachdem die Verhandlungen mit dem Ausschuss dieses Resultat ergaben, war es uns nicht vergönnt, den Betrieb einer Volksküche vorzuführen. Wir begnügten uns in der Abteilung für Wohlfahrtseinrichtungen und zwar an einem recht ungünstigen Platz, den man uns einräumte, nur unsere Schriften, Modelle, Maße, Geschirre und Kostproben in erwärmtem Zustand im Gebäude für Wohlfahrtseinrichtungen auszustellen und dort täglich Kostproben vorzuführen, die in der 5. Volksküche unter Leitung der Frau Lieutenant Havemann zubereitet und von dort täglich befördert werden mussten. Die Vorsteherinnen der 15 Küchen führten abwechselnd die Aufsicht und machten in liebenswürdigster Weise die Honneurs.
Der Verein erhielt von der Gewerbe-Ausstellung das Diplom der Silbernen Medaille.
Nach Paragraph 2 des Statuts beruhen die Speiseanstalten des Vereins der Berliner Volksküchen von 1866 auf dem Grundsatz der Selbsterhaltung durch den Konsum, unter unentgeltlicher Leitung, Beaufsichtigung und Kontrolle durch den Zentralvorstand, die Vorsteherinnen der Volksküchen und die Ehrendamen. Solche Küchen, welche dauernd eines Zuschusses bedürfen, sollen aufgelöst werden. Leider sah sich demnach der Vorstand veranlasst, 6 Volksküchen im Laufe des Jahres zu schließen, welche im Jahre je über 1000 Mark Zuschuss bedurften. Es waren die 12. Küche, Neue Jacobstr. 15, die 13. Küche, Gneisenaustr. 113, die 14. Küche, Lichtenbergerstr. 10, die 15. Küche. Birkenstraße 15, die 9. Küche, Müllerstr. 182, die 6. Küche, Invalidenstr. 123.
Da mehrere der geschlossenen Küchen noch einen längeren Mietkontrakt hatten, so kosteten sie dem Verein bis zum Ablauf derselben noch Miete, doch schien dieser Verlust geringer, als wenn man die Küchen im Betrieb erhalten hätte. Zugleich musste daran gedacht werden, das frei gewordene Inventar von 6 Volksküchen unterzubringen. Es wurde daher ein Lagerkeller in der Rosenthalerstraße Nr. 45 für 300 Mark gemietet und ein Kontrolleur engagiert, dessen Amt fortan ist, die Aufsicht über das Inventar zu führen und noch andere Kontrollarbeiten auszuüben. Einer solchen Kontrolle bedurfte speziell die 7. Volksküche in der Andreasstraße 68, wo es leider im letzten Jahre an Ehrendamen gänzlich mangelte, da sich in dem speisenden Publikum Elemente eingeschlichen hatten, die es den Damen unmöglich machten, dort persönlich die Aufsicht während der Speisezeit zu üben.
Zu den Lokalveränderungen gehörte auch die Verlegung des Zentralbüros vom Stadtbahnbogen Börse nach der Alten Leipzigerstr. 13 und von da am 1. April 1900 nach Leipzigerstr. 103.
Die 3. Volksküche, von der ein Teil zum Zentralbüro abgeschlagen war, wurde nun um diesen Raum vergrößert und es wurden daselbst Einrichtungen getroffen, die immer mehr einer Mustervolksküche entsprechen. Die Abendspeisungen welche vom 1. Oktober bis Ende April jedes Jahres stattfinden, werden immer zahlreich besucht.
Im September 1897 übergab Herr Theodor Morgenstern dem Zentralvorstand ein Memorandum, in welchem er den Rückgang im Konsum der Volksküchen allseitig begründete und Reformen verschlug, welche in mehreren Sitzungen beraten wurden. Der Rückgang erklärt sich zum Teil auf den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen und der sich zeitweise verschiebenden Bedürfnisfrage in den verschiedenen Stadtgegenden der Peripherie. Es sollen deshalb Lokalitäten mit mehr Vorsicht in örtlicher Beziehung gewählt und die Volksküchen nach den Ansprüchen der Neuzeit reformiert werden, selbstverständlich werden auch die Preise der Speisen dann erhöht werden müssen, um Selbsterhaltung zu erzielen.
Die Vorsteherinnen der Küchen verwenden besondere Aufmerksamkeit darauf, die Speisen mannigfaltiger zu gestalten; so wurden Fische in der verschiedensten Zubereitung eingeführt.
Im September wurde beschlossen, dass der Verein sich bei der allgemeinen Ausstellung für Volksernährung, Armenverpflegung, Massenspeisungen und Hygiene im Messpalast Alexandrinenstr. 110, beteilige, wenn daraus nicht besondere Kosten entstehen. Herr und Frau Morgenstern übernahmen die Verhandlungen mit dem Vorstand der Ausstellung, die Einrichtung und die Oberleitung; Frau Luise Havemann, der Vorsteherin der 5. Küche, welche dem Lokal der Nahrungsmittel-Ausstellung am nächsten lag, übernahm den Vorstand und die wirtschaftliche Leitung der Ausstellungsküche, täglich abwechselnd von den Vorsteherinnen der Volksküchen und einigen Ehrendamen unterstützt.
Da der Raum ein großer war, konnte diese Speiseanstalt ganz dem Charakter der anderen Volksküchen entsprechend eingerichtet werden. Die Tagesspeisen wurden per Dreirad aus der 5. und der 2. Volksküche geholt — auf Gas erwärmt und in den Mittag- und Abendstunden zu demselben Preise wie in den Volksküchen zu 5, 10, 15 und 25 Pfennigen verkauft, selbstverständlich nur in Kostproben. Die Speisen fanden großen Beifall und der Vorrat war immer allzu schnell erschöpft. Den zur Verteilung gebrachten Kaffee und Kakao hatten die Firmen Zuntz sel. Witwe, Theodor Reichardt in Halle, zum großen Teil gratis geliefert. Auch mehrere andere Firmen hatten der Ausstellungsküche Geschenke gemacht, wie die Herren:
- A. Müller,
- Schlächtermeister, Würstchen,
- Franck Söhne, Kaffeezusatz,
- Reuter & Dahle, frische Gemüse,
- Seidel & Co. in Münsterberg, getrocknete Gemüse,
- Busch, Harnewitz & Co., Schnittbohnen,
- A. Gutschow, Hülsenfrüchte,
- Liebig-Fleisch-Extracts-Company, Fleischextrakt.
Außerdem gaben bar:
- die Liebig-Company 150 Mark,
- Herr A. Gutschow, hier, 50 Mark,
- und Herr U. Dahle, hier, 20 Mark.
Das materielle Resultat der Ausstellungsküche war ein überaus günstiges, indem ein Reingewinn von 420 Mark 60 Pfennig verblieben ist, größer noch war der ideale Gewinn, indem der Verein mit dem Diplom der goldenen Medaille vom Preisrichteramt ausgezeichnet wurde.
Im September 1897 stellte Herr Dr. Engel den Antrag, in der 8. Küche diejenigen armen Schulkinder seines Bezirks unentgeltlich zu speisen, die in ihrer elterlichen Wohnung kein Mittagsmahl bekommen können. Nachdem ein Wohltäter sich bereit erklärt hatte, die Kosten dieser Speisung der Schulkinder für 8 Monate zu tragen und die Unterstützungskasse zur Speisung Notleidender in den Volksküchen die Kosten der übrigen 3 Monate bis Ende März übernahm, wurde der Antrag genehmigt, Frau Lewenstein, die Vorsteherin der 8. Küche, Pücklerstraße 57, unterwarf sich der großen Mühe, diese Speisung zu überwachen. Im Ganzen wurden vom Oktober bis zum März 18.621 Kinderportionen à 5 Pfennig gratis verteilt.
Der edle nicht genannt sein wollende Geber gewährte zu dieser Speisung 700 Mark an die Unterstützungskasse zur Speisung Notleidender. Die letztere Kasse verteilte vom April 1897 bis 1898 an arme Familien und einzelne Personen 5.350 Portionen à 25 Pfennig, 8.312 Portionen à 15 Pfennig, 1960 Portionen à 10 Pfennig, 682 Portionen Suppe à 6 Pfennig, 116 Portionen Kakao à 5 Pfennig, 14 Portionen à 40 Pfennig in der Frauenküche, im Ganzen also Speisen im Werte von 2.778 Mark 61 Pfennig. Der Verein zur Speisung Notleidender und armer Kinder entnahm für seine Bedürftigen aus den Berliner Volksküchen Speisen: 6.384 Portionen, à 15 Pfennig.
Die Kinderhorte entnahmen in jenem Jahr aus 2 Küchen 9.079 Portionen, die Kinderspeisung in der 8. Küche betrug 9.697 Portionen à 5 Pfennig.
Das Polizeipräsidium für die Gefangenen entnahm aus der 11. Volksküche, Stralauerstr. 13 / 14, an Speiseportionen; 34.785 halbe.
Alle diese Wohlfahrtseinrichtungen und Anstalten sprachen ihre volle Zufriedenheit mit den Speisen aus.
Im Jahre 1897 betrugen die Einnahmen der 15 Volksküchen 191.511,89 Mark, im Jahre 1898 die der noch bestehenden 9 Volksküchen und der Frauenküche 168.506,16 Mark Obwohl also fünf Küchen weniger bestanden, betrug die Mindereinnahme nur 23.005,73 Mark, woraus ersichtlich ist dass die Frequenz 1898 eine gesteigerte war, obgleich die 7. Speiseanstalt vom Mai bis 12. September geschlossen war, und die Frauenküche um 1. Oktober aufhörte.
Eine schwere Sorge erwuchs dem Vorstand durch die Erkrankung unserer beiden Beamten im Zentralbüro, die nahe an dreißig Jahre die Geschäfte der Volksküchen mit stets gleich bleibender Pünktlichkeit, mit Fleiß und Rechtschaffenheit geführt hatten. Der Kassenverwalter, Herr Behrendt, war schon einmal im Sommer erkrankt; der ihm gegebene Urlaub wurde von ihm zu einer Erholungsreise benutzt, die seine Genesung für kurze Zeit herbeiführte, aber seit Anfang Januar 1899 wieder schwer erkrankt, starb er im Herbst 1899. Der Buchhalter, Herr Sandrog, der schon im Jahre vorher einen Schlaganfall erlitten hatte, aber mit aller Anstrengung seinen Pflichten weiter nachzukommen suchte, die durch die Erkrankung seines Kollegen noch vermehrte Arbeit brachten, musste am 1. März 1899 sein Amt niederlegen. Er wurde mit 60 Mark monatlich pensioniert und übersiedelte nach München zu seinen Kindern, wo er im Februar 1900 starb. Das Engagement einer ersetzenden, tüchtigen Kraft wurde dringende Notwendigkeit und es gelang in der Person des Herrn Zeiler eine solche zu finden, der am 1. März 1899 seine Stellung als Kassierer und Bürochef antrat und sich in die so komplizierte Arbeit schnell hineinfand. Als Buchhalter wurde eine Dame, Fräulein Stolle, engagiert.
Da auch der Schatzmeister, Herr Julius Martin Friedländer, erkrankte und längere Zeit eine Erholungsreise antrat, trug der Kassenkurator, Herr Th. Morgenstern, in dieser schweren Zeit allein die große Verantwortung und Mühe der Kontrolle im Zentralbüro, die er fast täglich einige Stunden dort ausübte.
Die Pensionskasse des Vereins wurde durch die erkrankten Bürobeamten 1899 stark beansprucht, da Behrendt bis zu seinem Tode das volle Gehalt, Sandrog nach seinem Abgang 60 Mark monatliche Pension erhielt. Außerdem wurden 12 erwerbsunfähig gewordene Frauen unterstützt. Die Pensionskasse betrug am 31. Dezember 1899 an 40.237 Mark 12 Pfennig.
Bis zum Jahr 1898 erwies sich die Frauenküche für die dort speisenden Mädchen und Frauen, täglich 150 bis über 200, als größte Wohltat für deren Gesundheit. Es waren meist Lehrerinnen, Künstlerinnen, Geschäftsgehilfinnen, sowie andere weibliche Beamtinnen, ferner alleinstehende Frauen welche letztere im eigenen Haushalt sich eine so kräftige ausreichende Kost nicht so billig und gut herstellen könnten, während die ersteren von ihrer Wohnung entfernt beschäftigten jungen Mädchen meist den ganzen Tag ohne warme Kost früher zubrachten. In Rücksicht darauf, dass alle diese Mädchen und Frauen an Suppe, Fleisch und Gemüse gewöhnt sind, war die Art der Speiseverabreichung in den Frauenspeiseanstalten eine andere, als in den Volksküchen. Sie bestand in Suppe mit Fleischeinlage 15 Pfennig, Gemüse apart 15 Pfennig, Gemüse mit Fleisch 25 Pfennig, Suppe, Gemüse und Fleisch 30 Pfennig, Kaffee und Kakao à 5 Pfennig, Gebäck à 2 und 3 Pfennig.
Seit Einführung der englischen Tischzeit in den meisten Geschäften, verminderte sich der Konsum, da die Angestellten bei ihren Angehörigen das Mittagsmahl einnehmen; da nun die Frauenküche auch beständigen Zuschuss bedurfte, wurde sie im Oktober 1899 geschlossen.
Gegenwärtig leiten die noch bestehenden neun Volksküchen folgende Damen:
- Frau Ida Oberwarth die 1., Kochstr. 74, seit 1888. Dieselbe wurde 1899 für 25 jährige freiwillige Tätigkeit, seit 1874 in den Volksküchen zum Ehrenmitglied ernannt und erhielt eine Adresse.
- Frau San. Dr. Clara Fränkel steht der 2. Speiseanstalt, Grünstr. 5 / 6 seit 1892 vor.
- Frau Lina Basch der 3. Volksküche Bahnhof Börse, Bogen 10 / 11, seit 96,
- Fräulein E. Grelling der 4. Volksküche, Ziethenstr. 26 seit 91,
- Frau Leutenant Havemann der 5. Volksküche, Oranienstraße 113 / 114, seit 90.
- In der 7. Volksküche Andreasstr. 68 ist Frau Eleonore Schulz, Vorsteherin.
- In der 8. Speiseanstalt, Pücklerstrasse 57 ist Frau Cäcilie Lewenstein seit 1895 Vorsteherin. Sie gab sich die größte Mühe, diese Volksküche auf der Höhe zu halten, aber die Lage war dem Konsum nicht günstig, weshalb diese Küche, für welche bisher noch kein geeignetes Ersatzlokal gefunden wurde, einstweilen für den Sommer am 1. April 1900 geschlossen wurde.
- Vorsteherin der 10. Volksküche, Elisabethufer. 37, ist Frau Malwine Henning seit 1873 im freiwilligen Dienst der Volksküchen, wurde 1899 zum Ehrenmitglied ernannt und erhielt eine Adresse zu ihrem Jubiläum. Ihre Stellvertreterin ist ihre Tochter, Frau Kessler. Diese 10. Speiseanstalt des Vereins ist die einzige, die obgleich im Keller liegend, niemals notwendig machte das Lokal zu wechseln, da sie sich stets eines sehr zahlreichen Besuches der Stammgäste erfreut. Auch die Ehrendamen sind der Küche stets treu geblieben; einige derselben üben die freiwillige Tätigkeit seit 1868, wie Fräulein Johanna Degner.
- Vorsteherin der 11. Volksküche, Stralauerstr. 13 / 14 ist seit 1891 Frau Saulmann, ihre Stellvertreterin Frau Charlotte Lehmann.
Zum Zentralvorstand gehören auch vier Delegierte der Vorsteherinnen der Küchen, welche je für sechs Monate nach Reihenfolge der von ihnen verwalteten Küchen gewählt werden.
Da seit dem Tode der hochseligen Protektorin Kaiserin Augusta die Prämierung des treuen Küchenpersonals aus deren Privatschatulle aufgehört hat, wir jedoch denjenigen Beamtinnen, welche mehr als fünf Jahre im Dienste der Volksküchen sind, eine Anerkennung verschaffen wollten, wurde der Verein der Volksküchen von 1866 Mitglied des Berliner Hausfrauenvereins 1897, mit einem jährlichen Beitrag von 20 Mark und den üblichen 5 Mark für jede zur Prämierung gemeldete Beamtin. Schon 1897 wurden 6 Angestellte prämiert und im November 1898 erhielten 7 Angestellte in den Volksküchen die Prämie des Berliner Hausfrauenvereins für fünfjährige Dienstzeit, eine Markenverkäuferin und eine Hilfsfrau für siebenjährige Dienstzeit, eine Markenverkäuferin, eine Wirtschafterin und Köchin für acht Jahre Dienstzeit. Die Prämie für dreißigjährige ununterbrochene Dienstzeit als Hilfsfrau der dritten Volksküche erhielt Beata Ernestine Haase, sie bestand in der Brosche mit Inschrift, dem Diplom, einem biographischen Werk und 30 Mark in bar. —
1899 erhielten zehn Angestellte der Volksküchen die Prämie vom Hausfrauenverein unter denen drei Markenverkäuferinnen für 25, 22, eine für 16 Jahre, eine Wirtschafterin für 20 und eine für 5 Jahre, eine Köchin 24, eine 5 Jahre, eine Hilfsfrau für 22, eine 17, eine für 16 Jahre Dienstzeit prämiert wurden. — Dagegen war es für den Vorstand höchst betrübend, zwei Köchinnen und eine Wirtschafterin wegen Unehrlichkeit entlassen zu müssen, die länger als zehn Jahre lang das Vertrauen des Vorstandes besessen hatten.
Von der Zuverlässigkeit, Pflichttreue und Ehrlichkeit des Personals hängt unbedingt die Güte des Essens ab. Um dieses in allen Küchen zu vergleichen und zu sehen, ob es den für die Volksküchen aufgestellten Kochrezepten entspricht, ist die Inspektion der Küchen durchaus notwendig. Sie wurde im Lauf all der Jahre von den Damen des Zentralvorstandes und den Vorsteherinnen der Volksküchen abwechselnd ausgeübt.
Auf die Verwaltungsjahre 1898 und 1899 kann insofern mit Befriedigung zurück gesehen werden, als aus den vorliegenden Abschlüssen hervorgeht, dass die in den beiden Vorjahren getroffenen Maßnahmen richtige waren, die sechs Küchen zu schließen, welche fortwährende Zuschüsse aus dem Vereinsvermögen erfordert hatten, so das der Betriebsverlust 1897 die Höhe von 11.096,19 Mark betrug, während der Kassenabschluss von 1898 nur einen Verlust von 5.210,78 Mark aufweist, und von dieser Summe entfallen noch 1.140 Mark für nachträgliche Ausgaben auf die 6 geschlossenen Küchen, so dass der eigentliche Betriebsverlust nur rund 4.070 Mk betrug. Noch günstiger stellte sich das Ergebnis 1899. Da gingen ein für Speisen 160.390,59 Mark Es wurden verauslagt für Zubereitung der Speisen 103.987,66 Mark Per Unkosten an Miete für sämtliche Küchen, an Löhne, Gehälter, Feuerung, Beleuchtung, Anschaffungen und Reparaturen 49.410,29 Mark An Generalunkosten für das Zentralbüro die Bürobeamten, Kassierer, Buchhalter, den Boten und Lagerhalter, an Druckkosten, Utensilien, Inserate, Heizung, Beleuchtung etc. 9.267,47 Mark Nach Abschreibung von 50% wurde das Inventar mit 1.269,77 Mark an Wert gebucht. Krankenkassenkonto, Invaliditäts- und Altersversicherung 613,83 Mark, so dass bei oben genannten Einnahmen von 160.390,59 Mark aus dem Betrieb ein Verlust von 4.158,43 Mark entstand. Das Vereinsvermögen bestand um 31. Dezember 1899 aus 93.123,97 Mark incl. Wert des Inventars und der Effekten, wovon der Reservefonds nur 15.705,47 Mark beträgt, während im Kapital enthalten sind:
- Diverse Kreditoren — 14.184,13 Mark
- Kaiserin-Augusta-Stiftung — 12.578,60 Mark
- Henriette Krause-Schenkung — 2.000,- Mark
- Gerson von Bleichröder-Schenkung (Restbetrag von 10.000) — 3.360,13 Mark
- Pensionsfond — 45.003,14 Mark
- Caroline Falk-Stiftung — 214,25 Mark
- Ein Legat von Landecker 1899 — 2.000,- Mark
—
Ohne Erhöhung der Portionenpreise wird es bei den hohen Mieten den zeitgemäßeren Einrichtungen und Ausstattungen der Volksküchen nicht abgehen, sollen sich dieselben wieder zur Selbsterhaltung emporarbeiten, da sonst von Jahr zu Jahr der Reservefonds aufgezehrt würde.
So schließe ich die Geschichte der Volksküchen mit der Hoffnung, dass es auch im neuen Jahrhundert nicht an hilfsbereiten, tätigen Mitarbeitern fehlen möge, um durch unsere Anstalten beizutragen, die Volksgesundheit der wenig bemittelten durch kräftige, einfache, billige Massenspeisung und Gewöhnung an Mäßigkeit zu erhöhen.