Die letzten Jahre unter dem Protektorat I. M. der Kaiserin Augusta
Nach zweijähriger schwerer Krankheit besuchte Kaiserin Augusta wieder das erste Mal die Volksküche und zwar die 15. in der Stromstraße, Moabit. An diesem Tage führte die hohe Protektorin ihre Enkelin Prinzessin Wilhelm, jetzt Kaiserin Königin Auguste Victoria, mit den Worten in unseren Kreis: »Es war mein Wunsch, Prinzess Wilhelm in ein Werk einzuführen, das seit Jahren so segensreich wirkte, und unserer Stadt zur Ehre gereicht.« Und noch einmal ward uns am 9. Mai 1887 die außerordentliche Freude, unsere edle Protectorin in der 15. Volksküche im neuen Lokal zu begrüßen; wie seit 22 Jahren erschien sie in Begleitung der Palastdame Gräfin Hacke und eines Kammerherrn, von Schrader. Mit Begeisterung von den anwesenden Vorsteherinnen und Ehrendamen in den blumengeschmückten Räumen begrüßt, nahm die Kaiserin huldvoll die poetische Ansprache von Olga Morgenstern, an einen Sessel gelehnt, stehend, in sichtbarer Bewegung, entgegen und sagte dann: »Liebes Kind, diese Worte kamen, vom Herzen und gingen zu Herzen!« Und nachdem sie längere Zeit unter uns geweilt, sagte sie zum Abschied den ihr gereichten Rosenstrauß erfassend: »Den bringe ich dem Kaiser!« Ach, damals ahnte niemand, welch schwere traurige Zeit über Kaiserin Augusta und unser Vaterland hereinbrechen werde! Die qualvolle Krankheit des einzigen Sohnes, um den das Mutterherz sich in der Ferne in Sehnsucht verzehrte, der Tod des blühenden Enkels ihm bald folgend der Verlust des erlauchten Gemahls – des Heldenkaisers Wilhelm – wenige Monde später das Sterben des hochherzigen Kaisers Friedrich, das waren die härtesten Prüfungen, die je ein Menschenherz erduldet hat. Doch wie sehr auch die Wunden bluteten, mit welch bewundernswerter Geduld und Gottergebenheit verharrte Kaiserin Augusta im Trübsal. Niedergebeugt von Kummer, Schmerz und körperlichen Leiden, sahen wir sie unentwegt in ihrem Liebeswalten, um Not zu lindern, die Vereine und gemeinnützigen Anstalten zu fördern und zu neuem segensreichen Wirken anzuregen. Auch unserem Verein wurden bis zu ihrem Scheiden aus dem Leben Beweise ihrer Huld und Teilnahme - und ihrer spendenden Fürsorge.
Den Schluss des Jahres 1889 bildete, wie halbjährlich seit 1869, die Prämienverteilung der Kaiserin Augusta an unsern braven Angestellten für lange Dienstdauer. Die hohe Frau sandte zu diesem Zweck 420 Mark an Frau Morgenstern. Am Sonntag Nachmittag, den 29. Dezember, veranstaltete diese die Feierlichkeit in ihrer Wohnung, welcher außer den zu Prämierenden die Vorstandsdamen beiwohnten. — Nach der erhebenden Feier unterzeichneten die hocherfreuten Frauen ein Dankschreiben an die hohe Protektorin des Vereins, welche die Angestellten ermuntere, auszuharren in Pflichttreue und Rechtschaffenheit. Es erhielten seit 1869 im Ganzen von der hochseligen Kaiserin Augusta 70 treue Angestellte in den Volksküchen Prämien.
Es waren die letzten Zeichen der Dankbarkeit, nächst der Adresse des Vorstandes zum Jahreswechsel, welche wir unserer edlen Protektorin widmen konnten! Kaum hatte das Jahr 1890 begonnen - da schied sie, am 7. Januar, für immer von uns – aber ihre fürsorgliche Liebe hat auch über das Grab hinaus unseren Verein und seine Zukunft bedacht. Ein Kapital Von 10 000 Mark, als Kaiserin Augusta-Stiftung setzt uns in den Stand, im Sinne der erhabenen, großherzigen Frau deren Wohltaten weiter zu üben. Ihr Bild aber wird in unser aller Herzen fortleben, mahnend an glorreich schöne Zeiten. da sie unter uns weilte, uns voranleuchtend als Beispiel werktätiger Menschenliebe.
Zwei Tage nach dem Dahinscheiden der Kaiserin Augusta erließ I.M. Auguste Victoria folgendes Handschreiben:
Ich glaube im Sinne der von uns tief betrauerten Kaiserin Augusta zu handeln, wenn ich den Verein der Berliner Volksküchen aus dem Jahre 1866, sowie die Anstalten, deren Protectorin die Hohe Heimgegangene war, Meines warmen dauernden Interesses, versichere. Ich erfülle damit eine heilige Pflicht gegen die teure Entschlafene, deren aufopfernde Liebesarbeit sich in diesen Vereinen und Anstalten so lange segensreich betätigte.
Berlin den 9. Januar 1890
Auguste Victoria,
Kaiserin und
Königin.
An die Vorsitzende des Vereins der Berliner Volksküchen aus dem Jahre 1866,
Frau Lina Morgenstern.
Einen Monat später hat I. Maj. die Kaiserin Königin Auguste Victoria das Protectorat über den Verein der Berliner Volksküchen von 1866 übernommen.
Wie unsere verewigte Kaiserin, bewies auch deren erlauchte Tochter, Großherzogin von Baden uns stets ermunternde Teilnahme und Anerkennung, und so möge auch hier das Handschreiben eine Stätte finden, das die hohe, viel und schwer geprüfte Fürstin uns als Antwort auf die Beileidsadresse des Vorstands nach dem Dahinscheiden ihrer erlauchten Mutter schrieb:
Ich habe den Ausdruck warmer Teilnahme, welchen der Verband de rvereinigten Berliner Volksküchen meinem geheiligten Schmerze gewidmet hat, mit um so größerer Dankbarkeit empfangen, als mir die fortgesetzt fördernde Teilnahme meiner verklärten Mutter an diesem Liebeszwecke von Jahr zu Jahr entgegentrat, und ich die Freude kannte, welche ihr die Entwicklung dieser wohltätigen und helfenden Arbeit gewährte. Wohl ermessend, wie in diesen Tagen allgemeiner Trauer alle Kreise Ihres Vereins tief ergriffen worden sind, erkenne ich in dem Beweis Ihrer Mitempfindung eine Kundgebung der Dankbarkeit gegen die Heimgegangene, die meinem Herzen wohlgetan hat, und die der Fortführung Ihres Werkes zum Segen gereichen wird.
Berlin, Palais,
11. Januar 1890.
Luise.
In der Generalversammlung vom 22. April 1890, im Rathaussaal, hielt Frau Lina Morgenstern eine Gedächtnisrede auf die verewigte Protektorin des Vereins, Kaiserin Königin Augusta, die sie als leuchtendes Vorbild der Frauenwelt schilderte, unermüdlich an sich selbst arbeitend, rastlos bemüht im Festhalten und Durchführen von Pflichten, nicht allein durch ihre hervorragende Stellung auferlegt, sondern in weitumfassender Hilfsbereitschaft, in liebevoller Fürsorge, wo es galt, menschliches Elend zu lindern, ohne Unterschied der Konfession und Gesinnung.
Nachdem die Vortragende ein Bild von
dem segensreichen Lehen und dem vielumfassenden
Wirken der Kaiserin Augusta gegeben, schloss sie mit den Worten:
»Eine schwere, traurige Zeit ging
dem Scheiden der Kaiserin Augusta
voran. Die qualvolle Krankheit des einzigen Sohnes, um den das Mutterherz sich
in der Ferne in Sehnsucht verzehrte, der Tod
des blühenden Enkels, ihm
bald folgend der Verlust des erlauchten Gemahls — unseres Heldenkaisers Wilhelm
— und wenige Monde später das Sterben des
hochherzigen Kaisers Friedrich,
das waren die härtesten Prüfungen, die je ein Menschenherz erduldet
hat. Doch wie sehr auch die Wunden bluteten, mit
welch' bewundernswerter Geduld
und Gottergebenheit verharrte Kaiserin Augusta im Trübsal. — Niedergebeugt
von Kummer, Schmerz und körperlichen
Leiden, sahen wir sie unentwegt in
ihrem Liebeswalten, um Not zu lindern, die Vereine und gemeinnützigen Anstalten
zu fördern und zu neuem segensreichen
Wirken anzuregen. Auch unserem Verein
wurden bis zu ihrem Scheiden aus dem Leben Beweise ihrer Huld und Teilnahme
— und über den Tod hinaus ihre
spendende Fürsorge. Selig
wie ihr Leben war ihr Sterben! Ihre letzten Blicke ruhten auf der zärtlich
geliebten Tochter, die nicht von ihr wich —
und auf dem Enkelpaar
— der Zukunft Deutschlands. O schön und groß, wem so vergönnt
zu scheiden! Wir alle vermissen die Edle, aber sie
ist uns nicht gestorben!
In ihrem Sinne — treu als Glieder des Ganzen, der freiwilligen Pflicht, für
die Leidenden, Bedürftigen, Bedrückten zu
leben, das sei von uns heilig
gehalten als das Vermächtnis unserer Kaiserin Augusta!«