Die Volksküchen von 1882 bis 1890
Im Jahre 1882 fasste der Vorstand den Beschluss sich bei der allgemeinen Ausstellung für Hygiene und Rettungswesen durch Errichtung einer Volksküche auf dem Ausstellungsplatz zu beteiligen.
Der Bau des hierzu erforderlichen Gebäudes wurde Herrn Hofbaumeister Hauer übergeben, welcher ihn zur vollen Zufriedenheit auf dem Ausstellungsplatz ausführte.
Das Häuschen war im Schweizerstil ausgeführt und trug im Giebel die Inschrift: Verein der Berliner Volksküchen von 1866. Schon vom 10. Mai an eröffneten wir diese Ausstellungsküche auf besonderen Wunsch für die auf dem Platze beschäftigten Arbeiter, deren 1.400 in Tätigkeit waren waren.
Die sämtlichen Vorsteherinnen hatten sich dahin geeinigt, 14 Tage dort die Leitung und Aufsicht mit Hilfe der Ehrendamen ihrer Küchen zu übernehmen. Die Vorstandsherren, Ärzte und Bürobeamten sowohl, als die Arbeiter, fanden das Essen vortrefflich. Aber der Brand des Hauptgebäudes der Ausstellung am 12. Mai, welcher so unzählige Hoffnungen zerstörte, setzte auch die Ausstellungs-Volksküche außer Tätigkeit. Dieselbe blieb jedoch von dem zerstörenden Element unversehrt.
Inzwischen hatte der Volksküchenverein Gelegenheit. seine Leistungsfähigkeit auf einer anderen Ausstellung, nämlich der für Kochkunst zu Leipzig am 2. – 4. Februar 1883, zu bewähren, wo er für ausgezeichnete Leistungen mit der silbernen Medaille prämiert worden ist.
Die Beteiligung an der Leipziger Kochkunstausstellung geschah in folgender Weise: Ich wurde damit betraut, die Ausstellung ins Werk zu setzen. Als Repräsentantin der Küchenvorsteherinnen begleitete mich die durch das Los gewählte Frau Kohte, Vorsteherin der 12. Küche. Als helfendes Personal wurde eine Wirtschafterin und eine Köchin mitgenommen, welche die beliebtesten Speisen der Volksküchen zubereiteten. In einem Saal des Krystallpalastes, wo die Ausstellung, veranstaltet vom deutschen Gastwirtverband stattfand, nahm die Volksküche eine Querseite ein. Die Wand, welche den Hintergrund bildete, war mit den in unseren Anstalten üblichen Sprüchen, Verhaltungsmaßregeln, der Speisekarte und dem Verzeichnis der 14 Berliner Küchen bedeckt. Links ein Tisch mit 5 Gasapparaten, auf denen fortwährend Speisen gekocht und erwärmt werden und in der Nähe ein Grudeofen zu gleichem Zwecke. Der König und die Königin von Sachsen, verweilten längere Zeit bei dieser Ausstellung, kosteten von den Speisen und sprachen, sich sehr lobend über dieselben aus.
Am 15. Mai 1883 wurde die Ausstellung für Hygiene und Rettungswesen, nach Neuaufbau der zerstörten Gebäude eröffnet. Der Pavillon der Volksküche. der durch den Winter gelitten hatte, wurde wiederhergestellt und während der ganzen Zeit der Hygiene-Ausstellung vom 15. Mai bis 15. Oktober blieb diese Volksküche und die neben demselben in einem eigenen Pavillon tätige Kochschule des Hausfrauenvereins ein Anziehungspunkt des aus allen Weltteilen herbei strömenden Publikums. Die Damen des Zentralvorstandes übernahmen die Oberleitung, die Vorsteherinnen und Ehrendamen aller Küchen die täglich zweimal abwechselnde Verteilung der Speisen am Anrichtetisch von 12 – 14 Uhr.
Schon einige Tage vor der offiziellen Eröffnung der letzteren, hatten die Vorsteherinnen für die Arbeiter zu kochen begonnen und das besuchende Publikum, sowie die Angestellten, Frauen als Männer im Ausstellungsraum, strömten so zahlreich zur Speisezeit in die Volksküche, dass die Räume nicht zureichten und sich die schönsten Genrebilder in den Gruppen vor derselben zeigten, wie sie ein Künstler nicht hätte belustigender zusammenstellen können.
Das Essen wurde allseitig vorzüglich und äußerst billig gefunden und das Urteil hoher Fürsten und Militärs, Ärzte und Anstaltsdirektoren, vornehmer Damen und einfacher Bürgerinnen, der Jugend wie des Alters zeigten sich tatsächlich als ein rühmliches, indem fast alle kamen, um zu kosten und dann mit vergnügten Mienen den vollen Napf leer aßen. Zu den oftmaligen Besuchern der Volksküche gehörten Herzog von Ratibor †, Graf Helmuth von Moltke † und Geheimrat Langenbeck †. Im ganzen wurden während des fünfmonatlichen Bestehens dieser Küche 5.419 ganze und 90.558 halbe Portionen gekauft, abgesehen von denen, die verschenkt wurden.
Trotz dieses großen Konsums hatte die Volksküche auf der Hygiene-Austellung am Schluss ein Defizit, denn ihre Kosten überstiegen bei weitem die jeder anderen Küche. Das Gebäude zu errichten hatte 2.500 Mark gekostet dazu kamen die Reparaturen 1883, die ganz neue Einrichtung und alle neuen Anschaffungen. Außerdem erhielt das Personal in Anbetracht der größeren Arbeit und weiten Entfernung von der Stadt ein höheres Gehalt.
Bald nach Eröffnung der Ausstellung entsandte mich der Verein als Delegierte zum Verbandstag der Frauenbildungs- und Erwerbsvereine nach Breslau, wo dieselbe am 15. bis 17. Mai tagte. Außer dem Vereinsbericht hielt ich dort einen Vortrag über die soziale und rechtliche Stellung der Frau im 19. Jahrhundert. Auch nach Schluss der Ausstellung im Oktober wurde ich zur Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins in Düsseldorf delegiert. Im Juli desselben Jahres wurde dem Verein der Berliner Volksküchen die große Auszeichnung der von der Kaiserin Augusta gestifteten goldenen Medaille aus der Hand Se. Kgl. Hoh. des Deutschen Kronprinzen auf der Ausstellung für Hygiene. Im November desselben Jahres errichteten wir eine 15. Volksküche in Moabit, Stromstraße 5 / 6 deren Vorsteherin und Stellvertreterin Frau Dr. Elise Retslag und Frau Stadtrat Dr. Cohn wurden. Der Konsum 1883 betrug in allen Volksküchen 2.290.360 Portionen, davon 177.307 ganze Portionen.
Die Ausstellungsküche hatte unendlich dazu beigetragen, das Prinzip der Volksküchen zu verbreiten und ihr allgemeine Anerkennung zu verschaffen.
Das Vermögen des Vereins erhielt im März 1882 eine bedeutende Verstärkung durch eine ihm zugefallene Erbschaft. Der im Herbst 1881 verstorbene Herr Landgerichtsrat Rosenberg hatte den Verein in hochherziger Weise durch ein Legat bedacht. Laut testamentarischer Bestimmung sollte eine hinterlassene Sammlung antiker Gegenstände der letzten vier Jahrhunderte und seine Bibliothek verkauft werden und der Erlös seinem Bar-Nachlass zufallen. Wenn sich dann nach Verteilung der Erbschaft ein Überrest seines Vermögens ergeben sollte, so solle dieser zur einen Hälfte dem Verein der Berliner Volksküchen, zur anderen dem Asyl-Verein für Obdachlose hier zufallen. Der Ertrag der öffentlichen Versteigerung genannter Sammlung war ein so überraschend hoher, dass der Kaufmann Moritz Lindenheim, als Testaments-Vollstrecker seines Verstorbenen Vetters, unserem Verein die bedeutende Summe von 20.000 Mark aushändigen konnte. Kaiser Wilhelm erließ dem Volksküchen-Verein den Erbschaftsstempel von 1.680 Mark auf Verwendung der Kaiserin Augusta. Aus dieser Erbschaft fügte der Vorstand 3.000 Mark dem Pensionsfond und der Krankenkasse des Dienstpersonals hinzu.
Auf einen Antrag des Fräulein Jenny Simion wurden in allen Bezirken Berlins, in denen Volksküchen sich befinden, Ärzte aufgefordert, die unentgeltliche Behandlung des Dienstpersonals der Volksküchen zu übernehmen, nachdem bis 1882 Sanitätsrat Dr. Blaschko für dies Amt gegen geringe Vergütung engagiert war. Dieser menschenfreundliche Arzt war der erste, der sich zu freiwilliger Hilfe anbot und es ist ist nur Pflicht der Dankbarkeit, diejenigen Ärzte hier zu nennen, die bis zur Begründung der obligatorischen Krankenkassen dem Personal ihre Hilfe unentgeltlich zu Teil werden ließen.
Es waren dies die Herren:
- Dr. Ruge,
- Dr. Lewandowsky,
- Dr. Tiburtius,
- Dr. Wiesenthal,
- Dr. Citron,
- Dr. Landau (Poliklinik},
- Dr. Selberg,
- Dr. Schilling,
- Dr. Ress,
- Sanitätsrat Dr. Halbach,
- Dr. Davidsohn,
- Dr. Schnitzer,
- Dr. W. Salomon,
- Sanitätsrat Dr. Blaschko,
- Dr. Rothmann,
- Dr. Salzmann,
- Dr. Eberty,
- Dr. Posner,
- Dr. Grabower,
- Dr. Maretzky,
- Dr. Griese,
- Dr. Niemeyer,
- Dr. Lewy,
- Dr. Bertram,
- Dr. Blumenfeld,
- Dr. Schlesinger.