Hilfsbuch zur Gründung,

Leitung und Kontrolle von Volksküchen

Lina Morgenstern

Die Volksküchen von 1877 bis 1882

Stadtsyndikus Zelle sah sich 1877 veranlasst, seiner vielen städtischen Amtsgeschäfte wegen, den Vorsitz niederzulegen, den er so würdig seit 1873 inne gehabt hatte.

in der Generalversammlung von 1878 erwählt. Für Dr. Ad. Glaser, der ausschied, wurde

gewählt. Da dieser Fachmann war, übertrug Herr Th. Morgenstern demselben sein seit 12 Jahren inne gehabtes Ehrenamt als technischer Direktor zur Kontrollierung der Bauarbeiten und Handwerker; während er zum Kassenkurator erwählt wurde.

Trotz des noch immer verminderten Konsums, der 1878 nur 1.186.255 Portionen betrug, hatte sich das 1877 bis 40.710 Mark 59 Pfennig herabgegangene Vereinsvermögen am 31. Dezember 1878 auf 43.251 Mark 66 Pfennig gehoben, weil es in jenem Jahre weniger Umzüge und Baulichkeiten gab.

Von da ab steigerte sich der Konsum von Jahr zu Jahr und infolge dessen auch das Vereinsvermögen. Dasselbe betrug

Festlich feierte der Verein der Berliner Volksküchen die Rückkehr des verehrten Kaiserpaares nach der längeren Abwesenheit in Folge des Attentates vom 2. Juli 1878.

Eine Sammlung, welche der Vorstand zu diesem Zwecke veranstaltete, setzte ihn in den Stand, am Tage des Einzuges in den Küchen 4056 Portionen Essen an Notleidende zu verteilen. Außerdem erhielten Bedürftige im Jahre 1878 gratis durch den Verein zur Speisung armer Kinder und Notleidender und durch die Unterstützungskasse des Hausfrauenvereins über 10.000 Portionen Essen.

Die goldene Hochzeitsfeier des Kaiserpaares 1879 gab dem Verein der Berliner Volksküchen Veranlassung, der hochherzigen Protektorin seine Dankbarkeit durch eine kunstvoll ausgeführte Adresse zu bezeugen. Fräulein Mathilde Böhm und mir war es vergönnt, mit einer mündlichen Ansprache dem hohen kaiserlichen Jubelpaar im weißen Saal des Königsschlosses dieselbe im Anschluss an all die Deputationen zu überreichen, welche zu dieser herrlichen Feier herbei geströmt waren. Auch hatten wir die Ehre und Freude, allen bei dieser Gelegenheit veranstalteten Festlichkeiten beiwohnen zu dürfen.

In den Volksküchen wurde der Jubeltag des Kaiserpaares durch eine festliche Speisung und unentgeltliche Verabreichung von Bier an alle Speisenden gefeiert. Der Hausfrauenverein verteilte außerdem reichlich Volksküchenmarken an Bedürftige.

Bei dieser Veranlassung zeigte sich die Freigebigkeit unserer Mitbürger. Es wurden dem Verein für diese Speisung zugewendet, von:

Von

Aus einem der Kaiserin Augusta zur goldenen Hochzeit zur Disposition gestellten Fonds für wohltätige Zwecke übersandte Höchstdieselbe dem Verein 3.000 Mark, welche der Vorstand als Kaiserin Augusta-Stiftung verwaltet um von den Zinsen zur Erinnerung an die goldene Hochzeit am 11. Juni und am Geburtstage der Kaiserin am 30. September jeden Jahres an Notleidende je 40 Speisemarken zu verteilen.

Ebenso sandte die Kaiserin am 5. Dezember 1879 zur Verteilung von Volksküchenmarken 300 Mark.

Es wurden bei solchen Gelegenheiten stets Familien ausgewählt, welche sich an die Unterstützungskasse des Hausfrauenvereins und an die Vorsteherinnen gewandt hatten, und deren Verhältnisse auf sorgfältigste von Vereinsdamen untersucht worden waren.

Am 18. Januar 1880 erhielt der Volksküchenverein von der Kaiserin 1.000 Mark aus einem Fonds, welcher der hohen Fürstin der von G. Kommerzienrat Lachmann bei Verheiratung seiner Tochter für gute Zwecke überreicht worden war.

Diesem Beispiel folgte Herr J. Pinkus bei Verheiratung seiner Tochter. Auch von dieser Schenkung spendete die hohe Protektorin dem Verein 1.000 Mark und ebenso 50 Mark von einem Fonds. der unserer Protectorin von einem Gutsbesitzer zu wohltätigen Zwecken zur Verfügung gestellt war.

Als die Kaiserin von den Erfolgen hörte, welche wir mit den Volksküchen in Hamburg auf der Kochkunstausstellung errungen hatten, schenkte sie abermals 500 Mark

Die obengenannten 2.500 Mark wurden als Stammkapital zu einem Pensionsfonds für im Dienste der Volksküchen nach 10 jähriger Dienstzeit erkrankte und erwerbsunfähige Dienstleute und Beamte der Küchen angelegt. Ein hervorragendes Verdienst um die Volksküchen erwarb sich Herr Baumeister Lauenburg, der dem Verein in dessen Hause Ziethenstraße 26 ein Lokal ganz mietfrei bis 1889 überließ und auch später nur einen mäßigen Mietzins erhob.

Um das Prinzip der Selbsterhaltung zu wahren, überwies der Vorstand den Betrag der Miete dem Pensionsfonds.

Als ein besonderer Weihetag in dem Vereinsleben der Volksküchen ist der 15. März 1880 zu verzeichnen, an welchem Kaiserin Augusta, deren Tochter, Frau Großherzogin Luise von Baden und deren damals bräutliche Tochter Victoria, Kronprinzessin von Schweden, die 10. Volksküche Elisabethufer 37 mit ihrem Besuche beehrten und wie am Familientisch in den bescheidenen Kellerräumen der Volksküchen saßen und von den Speisen kostend, in leutseliger Unterhaltung mit den Vorstandsdamen längere Zeit hier verweilten.

Es sei hier ein für alle Mal bemerkt, dass bei diesen fürstlichen und kaiserlichen Besuchen keine anderen Zutaten zu den Tagesspeisen genommen wurden, als die in den Volksküchen stets gebräuchlichen, den Rezepten entsprechenden.

Nach ihrer so schweren schmerzlichen Krankheit erließ die Kaiserin 2 Cabinetschreiben vom 12. Dezember 1881 und 7. Januar 1881, dass der Arzt die Besuche in den Volksküchen noch verboten habe, dass die hohe Frau aber Jas Küchenpersonal und die Bedürftigen unter den gegebenen Verhältnissen nicht wolle leiden lassen und so überwies die hohe Frau die bei ihren Besuchen üblichen Geldgeschenke der Vereinskasse.

Doch schon am 31. Januar und 28. Februar 1882 besuchte die Kaiserin die 13. Volksküche Bellealliancestrasse 104, und die nach Markgrafenstraße 20 verlegte 1. Volksküche, wie stets begleitet von der treuergebenen Palastdame Gräfin von Hacke, Graf Hacke und Graf Fürstenberg, welche beide ihr Interesse durch Geschenke an die Krankenkasse bekundeten, deren Einkünfte fast ausnahmslos von der Kaiserin Augusta herstammten, und von 1868 bis Ende 1877, 4.524,90 Mark betrugen, denen eine Ausgabe von 4.054,33 Mark gegenüberstand. Der Ausfall wurde aus der Vereinskasse gedeckt.

Unter den Wohltätern, welche dem Verein der Berliner Volksküchen Zuwendungen machten, war es ein Ungenannter F. Sch. welcher 2.000 Marken zur Verteilung an Bedürftige bestimmte, Herr Dr. Liebermann verteilte an seinem Hochzeitstage mit Fräulein Lachmann 3.333 Speisemarken und Herr Max Krause durch Frau Morgenstern von da ab fast jedes Jahr 100 Mark zu Speisemarken.

Herr Hofuhrenfabrikant Felsing hatte zum Einzug der Prinzessin Wilhelm eine Tribüne in seinem Schaufenster erbaut, deren Ertrag von 1.100 Mark er dem Verein der Volksküchen zur Speisung Armer überwies, wofür 7.326 Speisemarken an bedürftige Familien verschenkt werden konnten.

Die Unterstützungskasse des Hausfrauenvereins gab Anweisungen auf 18.176 Portionen an Arme im Jahre 1880 aus: der Verein zur Speisung armer Kinder und Notleidender, dessen Vorsitzende Frau Blumenfeld † und Frau Henr. Witte † waren, verteilte im selben Jahr 8.657 Portionen und veranstaltete eine Festspeisung am Einzugstage für 140 Bedürftige in der 14. Küche. Herr Maurermeister Stargardt verteilte bei Eröffnung der 9. Volksküche in seinem Hause Müllerstr. 182 — 300 Speisemarken. Am 22. März 1882 überwies die Kaiserin dem Verein 300 Mark um zur Feier des Geburtstages des Kaisers eine festliche Armenspeisung zu veranstalten. Geheimer Kommerzienrat Baron von Bleichröder gab seiner Nichte, Fräulein Cäcilie Sachs, (jetzt Frau Prof. Seler), welche damals die 1. Küche leitete, an diesem Festtage den Betrag zur Verteilung Von 4.000 Portionen Essen an Bedürftige. In der 1. Küche fand die Festspeisung von 1.000 Personen Abends statt.

So gewährte indirekt der Verein der Berliner Volksküchen von 1866 obgleich er selbst keine Almosen verteilt, außer der wirtschaftlichen Hilfe auch den Notleidenden Unterstützung.

Zur direkten Wohltat wurde die Errichtung von drei Notstandsküchen und die Verteilung von Morgen- und Abendsuppen im Winter 1880. Die große Arbeitsnot und beispiellose Kälte hatte in Berlin einen gefahrdrohenden Notstand hervorgerufen. Diesen nach Kräften zu mildern, wurde beschlossen, Vom Volksküchenverein jede Maßregel zu ergreifen, die innerhalb seiner Statuten liegt.

So wurde die 9. Küche, welche lange kein passendes Lokal gefunden hatte, nach der Müllerstr. 182 verlegt, wo Maurermeister Stargardt für ein Jahr die Miete freigab; Frau Fabrikbesitzerin Mehlis † übernahm den Vorstand. Diese Stadtgegend war eine derjenigen, welche von der Armut am meisten heimgesucht war, d.h. von solchen, die nicht mehr ihr Mittagsmahl zu kaufen im Stande waren. Dasselbe war in der Ackerstraße 133 der Fall, wo wir eine 13. Volksküche während des Notstandes am 9. Februar 1880 eröffneten in einem Hause mit 7 Höfen, in welchem über 200 arme Familien wohnten und in der Frau Charlotte Meyer, später Frau Frohnhöfer, Vorsteherinnen wurden. In der Lichtenbergerstr. 10 wurde die 14. Volksküche am 8. März alle drei in Gegenwart der Kaiserin eröffnet.

Die Speiseanstalt in der Ackerstraße kostete dem Verein fortlaufende Zuschüsse, die Zunahme kaufender Konsumenten war gering; hierzu trug wohl bei, dass die Küche im dritten Hof lag und von Passanten sehr wenig benutzt wurde. Wir verlegten diese Küche daher am 1. November 1881 nach dem ganz entgegengesetzten Halleschen Stadtbezirk, Bellealliancestr. 104, wo sie unter der Leitung der Frau Agathe Jürgens zu schnellem Aufschwung gebracht wurde.

In Anbetracht der strengen Kälte und der zunehmenden Notverhältnisse wurde beschlossen, aus der Mittagsmahlzeit in den Volksküchen während der Wintermonate des Morgens und Abends Suppen, sowie Tee und Brot zu verkaufen. Sofort gingen die Vorsteherinnen mit dankenswerter Bereitwilligkeit ans Werk, welches ihnen vermehrte Arbeit, Mühe und Zeit kostete, und schon am 31. Januar 1881 begann des Morgens von 7 – 8½ und Abends von 6 — 7½ Uhr der Verkauf.

Bei dieser Gelegenheit verdient besondere Erwähnung, wie unverdrossen, ja freudig sich das Dienstpersonal der vermehrten Arbeit unterzog. Der Vorstand sah sich infolgedessen und durch den guten Fortgang in den Küchen veranlasst, die sämtlichen Gehälter zu erhöhen.

Da als Grundsatz angenommen wurde, den Genuss der Suppen als eine Wohltat auch für die Ärmsten zu ermöglichen wurde der Preis der Portion von ⅚ Liter Suppe auf 6 Pfennig festgesetzt. Im Herbst des Jahres 1881 machte die Königsberger Theecompagnie den Vorschlag, Tee als Volksgetränk in den Volksküchen einzuführen und stellte zu diesem Zweck ein Quantum gratis zur Verfügung. So wurde vom 1. November 1881 des Abends auch 1  Liter Tee mit Zucker und Brötchen für 6 Pfennig oder 1 Hering und 1 Pfund gekochte Kartoffeln für 8 Pfennig, ein Teller Bratkartoffeln mit einem Würstchen für 10 Pfennig verabreicht. An Suppen werden abwechselnd solche von

Trotz des milden Winters 1861 – 82 erwiesen sich die Abendmahlzeiten bald als eine erwünschte Wohltat, wogegen die Morgensuppen aufhörten, da kein genügender Bedarf dafür war.

Die Dankbarkeit des speisenden Publikums äußerte sich in vielfältiger Weise z.B. dichtete ein Arbeiter, als die Abendspeisungen aufhörten:

Der Frühling zieht in's Land hinein,
In Garten, Feld, in Flur und Hain,
Da sprossen aus der Erde Schoss
Die Blümlein alle klein und groß.
Das Herz schlägt freier in der Brust,
Denn überall ist Freud' und Lust.
Im ros′gen goldnen Sonnenstrahl
Da tanzen Mücken ohne Zahl,
Doch eines klag ich heut mit Weh.
Dass es nicht mehr giebt Supp und Thee.
Und dass nun bis der Sturmwind treibt,
Es Abends hier geschlossen bleibt.
Gut war die Suppe, schön der Trank,
Ich sag′ hierfür den besten Dank
Und ruf′: auf frohes Wiederseh'n,
Wenn die Novemberstürme weh'n!

Doch nicht immer hat es der Verein mit so dankbaren Gemütern zu tun. Zuweilen ist es recht schmerzlich für die freiwillig waltenden Ehrendamen, am Buffet hämische Bemerkungen gegen den Vorstand zu hören und die Unruhestifter zu beschwichtigen, so dass zuweilen polizeiliche Hilfe beansprucht werden muss.

Auch haben sich im Laufe der Jahre nächtliche Einbrüche von Dieben in einigen Küchen wiederholt, wo meist Fleischvorräte, Messinghähne und Kleidungsstücke der Dienstleute entwendet wurden. Einmal gelang es, die Spitzbuben zu ertappen und zu verhaften. Es waren halbwüchsige Vagabunden.

Im Allgemeinen herrscht unter den Speisenden in den Küchen ein sittliches, bescheidenes, höfliches Betragen, was besonders anzuerkennen war in Zeiten, wo Agitationen gegen den Verein von bestimmten Parteien in Bewegung gesetzt wurden.