Hilfsbuch zur Gründung,

Leitung und Kontrolle von Volksküchen

Lina Morgenstern

Die Volksküchen während der Kriegsjahre 1870 und 71

Die Heimkehr der Sieger

Nachdem am 25. Februar die Friedenspräliminarien [Vorverhandlungen für den Friedensschluss] ausgefertigt und am 1. März durch die Versammlung von Bordeaux unterzeichnet wurden, begann die Rückkehr der siegreichen Truppen und der freudigste Teil unserer Tätigkeit. (Anmerkung: Ich legte ein Album an, in welches sich alle kommandierenden Offiziere einschrieben, jetzt eine der interessantesten Autographensammlungen, 1.835 Offiziere, 1 Dame, 1 Franzose, besonders geweiht durch die mit höchst eigener Hand geschriebene Namenszüge der Kaiserin Augusta und der Großherzogin Luise von Baden, denen ich später dies Buch zu zeigen die Ehre hatte.)

Was wir zu bieten vermochten, holten wir hervor, um die heimkehrenden Truppen zu erfreuen.

Eines Morgens kam Hauptmann von Mannstein mit einem Bataillon, das wir freudig bewirteten und mit Wäschestücken ausstatteten. Da versammelte Herr von Mannstein die Mannschaften um sich und verkündete ihnen, dass 16 Mann der verschiedenen Compagnien eiserne Kreuze von Seiner Majestät dem Kaiser erhalten hätten; dieselben seien aus Versehen an ein anderes Kommando geschickt, nun wolle er sie, ehe sie in die Heimat kehren, wenigstens mit dem Ordensband schmücken und indem er mir das Ordensband reichte, sagte er: »Frau Morgenstern die uns mit so viel Freundlichkeit aufgenommen, möge die Freude haben, dies Band in 16 Teile zu schneiden und es jedem der braven Soldaten selbst befestigen!«

Mit vieler Freude nahm ich die Auszeichnung an.

Im Halbkreis standen die zur Dekoration Aufgerufenen umher, aber nur zehn waren anwesend, die übrigen waren inzwischen schwer verwundet in einem Lazarett unterwegs verblieben, oder ihren Wunden erlegen. Mein Mann brachte inzwischen Wein und Friedenspfeifen für die Ausgezeichneten, an welche Herr von Mannstein eine herzliche Ansprache hielt, in welcher er der Toten in großer Bewegung gedachte. Dann brachte er auf die Dekorierten ein Hoch aus: sämtliche Offiziere trugen ihre Namen in das von mir ausgelegte Album ein und zeigten uns dann die zerfetzte französische Fahne, die sie mit dem Blut so vieler dahingeschiedenen Deutschen erobert hatten.

Wir harrten in unserer Liebestätigkeit der Volksküche auf dem Bahnhof aus bis 15. Juli, wobei es uns eine wahre Herzensfreude war, so viele tausend brave Krieger wieder begrüßen zu können, die bei uns auf dem Hinzug der Truppen eingekehrt waren.

Unter den erhebenden Momenten welche unsere schwierige Aufgabe ermunternd unterbrachen, war der 26. Juni.

Das 2. Bataillon des 5. Brandenburgischen Infanterieregiments Nr. 48 unter dem Oberst und Kommandeur von Ende und dem Major und Kommandeur von Mellenthin angekommen.

Sie hatten auf dem Heimweg auf den Bahnhöfen sehr schlechte Verpflegung gefunden, da fast alle Erfrischungskomitees schon aufgelöst waren. Desto mehr erfreute es sie, als unsere Banner ihnen ein freudiges Willkommen entgegen winkten und sie bei uns sowohl für die Mannschaften als auch für die Offiziere reich besetzte Tafeln, herzliche Aufnahme, erfrischende Getränke und Wäschestücke erhielten.

In dem Güterschuppen waren außerdem zahlreiche Angehörige der Heimkehrenden, die fast ausschließlich Berliner und Brandenburger waren.

Da kam Herr von Mellenthin zu mir und sagte: »Da Sie es so gut mit uns meinen und uns das Glück, in der Heimat zu sein, zum ersten mal empfinden lassen, habe ich eine große Bitte an Sie. Nämlich, als der blutige Kampf bei Spichern vorüber, der so unsagbar viele Opfer gekostet hatte, vermissten wir 28 Offiziere. Vergebens suchte ich Soldaten zusammen zu bringen, um die Vermissten auf dem Schlachtfeld heraus zu suchen. Da erboten sich die Spielleute unseres Regiments es zu tun.«

»Es war eine furchtbare nicht ungefährliche Arbeit, aber es gelang ihnen, die Vermissten — unter den Leichen — als Tote hervorzuholen, obgleich feindliche Kugeln über sie hin schwirrten. Sie gruben ein gemeinschaftliches Grab — und halfen nun die Edlen begraben, welche in fremder Erde nach schweren Tagen ihr Ruhebett fanden. Ich aber dankte den mutigen Musikanten und gab ihnen den Namen: Ehrentotengräber von Spichern und versprach, ihnen bei erster Gelegenheit in der Heimat eine Freue zu bereiten.«

»Die Gelegenheit ist gekommen. Nach schmerzlichen Entbehrungen empfinden wir bei Ihnen zum ersten Mal, dass wir als Sieger heimkehren — erweisen Sie meinen Ehrentotengräbern etwas besonderes Liebes.« Gerührt hatte ich zugehört. Ich bat 10 Minuten Zeit, und dass er die Ehrentotengräber in das große Portal treten lasse, welches den allgemeinen Speiseraum von dem der Offiziere trennte: es geschah. Er stellte die Musiker im Halbkreis auf, hinter ihnen in malerischen Gruppen sammelten sich die übrigen Kameraden, bekränzt mit Lorbeer und Girlanden, da viele von ihnen Berliner und Brandenburger Kinder waren, deren Angehörige das lebhafte Bild verschönten. Vor ihnen im kleinen Raume die Offiziere und Komiteemitglieder. Der Pariser Einzugsmarsch ertönte und nachdem die schmetternden Trompeten verstummt waren, verteilten wir jedem der Musiker Friedenspfeifen, Jacken, Beinkleider, Schals und Strümpfe; damit aber das Bataillon nicht leer ausgehe, empfing es für die Bedürftigen jeder Kompanie 100 Paar Strümpfe.

Nachdem der Wein dem braven Chor kredenzt worden war, sprach Major von Mellenthin zu ihnen: »Diese Freude, welche Euch hier wird, ist mein Dank für die Tat, welche ihr als Ehrentotengräber von Spichern geübt habt.« — Ich selbst sagte zu den Soldaten: »Die Frauen Deutschlands würden gern jedem der tapferen Kämpfer ihren Dank in Taten der Liebe beweisen wollen.« Mein Mann brachte auf die deutsche Armee und Kaiser Wilhelm ein Hoch aus und es ertönten unter Begleitung des Trompetenschalls donnernde Hochrufe, welche in aller Herzen widerhallten. Solche Augenblicke waren Lichtpunkte in der schwierigen Aufgabe, die unser Komitee zur Erfrischung durchziehender Truppen sich gestellt, dessen Tätigkeit jetzt wieder Nacht um Nacht beansprucht wurde.