Hilfsbuch zur Gründung,

Leitung und Kontrolle von Volksküchen

Lina Morgenstern

Die Volksküchen während der Kriegsjahre 1870 und 71

Die Besuche der Königin Augusta in den Volksküchen während der Kriegszeit

Die Königin kam zu wiederholten Malen in die Speisehallen des Güterschuppens, sprach den Verwundeten Trost, den Durchgehenden Anerkennung und Aufmunterung zu. Auch die Volksküche besuchte die hohe Fürstin mehrmals, obwohl sie doch Tag für Tag in die Lazarette ging. Im Februar 1871 kam die Königin in die Volksküche, welche der Verein versuchsweise im Asyl für obdachlose Frauen während des Kriegsjahres eingerichtet hatte. Dort war es auch, wo die hohe Fürstin mir zum ersten Male das kleine Elfenbeinportemonnaie gab, mit den Worten: »Verwenden Sie den Inhalt für die Krankenkasse und zur Armenspeisung und schicken Sie es gelegentlich zurück!« Des anderen Tages sandte ich es zurück, den Vers hineinlegend:

»Du kleines Portemonnaie
Begleit' auf allen Wegen
Die Königliche Fee
Recht oft zu aller Armen Segen.«

So oft Kaiserin Augusta die Volksküchen besuchte, ließ sie von da ab zum Abschiede dasselbe kleine Elfenbeinportemonnaie in meine Hände gleiten mit den Worten oder ähnlichen: »Nehmen Sie den alten Freund!« Stets war der Inhalt desselben in sorgfältiger Verpackung mit der Aufschrift: 90 Mark für die Krankenkasse des Dienstpersonals, 60 Mark zur Speisung Armer und 30 Mark für die Dienstboten der besuchten Küche.

Fast immer schickte ich das historische Portemonnaie mit einer Strophe, die ich hineinlegte und die Kaiserin hatte die große Güte, all diesen kleinen Poesien ein Plätzchen in dem Portemonnaie zu vergönnen, so dass es bald eine ganze Sammlung Volksküchendichtung geworden ist. Nach ihrem Tode wurde mir das Portemonnaie mit den Strophen zugesandt, das ich als heiliges Vermächtnis ehre.

Am 7. Dezember erhielt ich folgendes Kabinettsschreiben:

Ihre Majestät die Königin beabsichtigt denjenigen Damen, welche sich unter Ihrer Leitung am aufopferungsvollsten an der Sorge für die durch passierenden Soldaten auf dem Ostbahnhof und Niederschlesisch-Märkischen Bahnhofe beteiligt haben, eine kleine Weihnachtsfreude zu bereiten und hat mich beauftragt, Sie vertraulich zu ersuchen, dieselben Allerhöchst Ihr namhaft zu machen. Ihre Majestät hatte eine Anzahl von etwa sechs Damen im Auge; es würde sehr erwünscht sein, wenn gleichzeitig die Wohnungen der Betreffenden mitgeteilt werden könnten.

Berlin, den 7. Dezember 1870.
Hochachtungsvoll und ergebenst
Brandis, Kabinettsrat.

An Frau Lina Morgenstern,
Wohlgeboren.

Die in diesem Schreiben angekündigte Weihnachtsfreude bestand in der goldenen Augusta-Medaille mit dem roten Kreuz, die nur 300 Frauen in Deutschland, darunter außer mir 6 Damen unseres Komitees, erhielten. Wir waren ebenso erfreut, wie andere, die sich gleichberechtigt zu einer Auszeichnung fühlten, mit Bitterkeit erfüllt wurden. Die Missstimmung fiel stets auf mich zurück.

Der Winter von 1870 – 71 war von ungewöhnlicher Härte, der Jahresschluss für Deutschland ein sehr ernster. Die unzähligen Tränen, welche den Hunderttausenden nachgeweint würden, welche gefallen waren, vergegenwärtigen die Größe der Opfer, und gerade das Weihnachtsfest machte die lange Trennung von teuren Familiengliedern, die noch auf dem Schlachtfeld weilten, am fühlbarsten. Auch uns wurde um diese Zeit das Wirken auf dem Bahnhof recht schwer. Nacht und Tag im offenen Güterschuppen, ohne eine andere Lagerstätte, als eine auf der Erde liegende Matratze, in dem einzigen, kleinen, verschließbaren Raum, und dabei verweigerte uns die Etappe (Anmerkung: Dieselbe bestand aus: Major von Dewitz, Leutnant Meumann, Verpflegungsbeamter Stephan.) einen Ofen zur Heizung. Aber trauriger als uns erging es unseren tapferen Kriegern und am unglücklichsten den französischen Gefangenen, welche bei 20 Grad Kälte — an die sie nie gewöhnt waren — in der ersten Zeit in offenen Kohlenwagen ankamen, mit erfrorenen Gliedern, in kaum ihre Blöße bedeckenden Kleidern. Es war kein Wunder, dass unter ihnen die Ruhr, der Typhus und allerlei andere Krankheiten herrschten, und wir selbst wurden dadurch den größten Gefahren ausgesetzt. Ich erinnere mich, dass ich einem sehr krank aussehenden Manne einen Labetrunk reichte und den ihn führenden Soldaten fragte, was ihm fehle. Da sagte er: »Sehen Sie denn nicht, er hat die schwarzen Pocken!« Es war ein Glück, dass ich mich vor nichts scheute und ganz furchtlos vor Ansteckung bin, sonst hätte der Schreck mich krank machen können. Schlimmer erging es meinem Gatten, der im Januar den Typhus bekam, so dass ich bei der Todesangst um sein Lehen noch allein die Oberleitung auf dem Bahnhof hatte und bei der großen Entfernung unserer Wohnung und dem furchtbaren Schneefall, der täglich war, es nur mit Schwierigkeiten aller Art möglich machte, zwischen den Speisungen einmal nach Hause zu fahren.

Ehe mein Mann erkrankt war, hatte er an die Königin geschrieben, um zu bitten, den Allerhöchsten Einfluss geltend zu machen, dass die Gefangenen nicht mehr in offenen Kohlenwagen bei der eisigen Kälte fahren dürften. Von da ab wurde Befehl gegeben, sie nur in Güterwagen zu expedieren.

Viele Briefe habe ich noch in Kopie, die wir an die zuständigen Behörden richteten, wenn irgend eine Ungerechtigkeit vorgekommen, welche unser teures Vaterland oder unsere Regierung durch das Verhalten der Beamten in Misskredit bringen konnte. Es verbesserte dies zwar keineswegs das Verhältnis zu der uns vorgesetzten Etappe, aber wir hatten die Freude, fast immer Abhilfe geschafft zu sehen.

Was helfen alle Vereine zum roten Kreuz, was nützt die Genfer Konvention, wenn einzelne Beamte sich ungestraft willkürliche Übergriffe erlauben und die freiwillige Hilfe hemmen dürfen! —

Unsere Kaiserin Augusta, deren hoher Verdienst es ist, die Bestrebungen des roten Kreuzes durch die Frauenhilfsvereine so sehr gefördert zu haben, schaffte während des Krieges Abhilfe, so oft sie von Fällen hörte, die diese nötig machten.

☆ ☆ ☆

Während der Verpflegung der Truppen auf den Bahnhöfen hatten die Volksküchen in der Stadt unter außerordentlicher Tätigkeit der Vorsteherinnen, Ehrendamen und Vorstandsmitglieder, einen guten Fortgang gehabt.

Der Konsum von 1870 betrug 2.042.167 Portionen, nur in 13 Stadtküchen und zwar 421.947 ganze und 1.620.220 halbe Portionen. Das Vereinsvermögen betrug am 31. Dezember 1870: 48.483 Mark. Eine Volksküche im Asyl für obdachlose Frauen, die dreizehnte, zeigte sich jedoch als kein Bedürfnis, da die Frauen und Kinder im Asyl nur des Nachts bleiben durften und bei Tage in der Stadt umherwanderten. Die Küche wurde daher 1871 wieder geschlossen.