Die Volksküchen während der Kriegsjahre 1870 und 71
Der Volksküchenverein zieht sich zurück
Zu derselben Zeit, in der uns so ausreichende Hilfe wurde, traten andere wichtige Verhältnisse ein, welche für uns die unangenehmsten Folgen nach sich zogen. Der damalige Schatzmeister des Vereins der Berliner Volksküchen, Herr Siegismund Salomon, stellte den Antrag, dass der Verein sich von der Soldatenverpflegung zurückziehen müsse, nachdem er seine Aufgabe als gelöst betrachten könne, die Truppen bei ihrem Hinzuge nach dem Kriegsschauplatze zu beköstigen. Als Grund führte er an, dass die andauernde Tätigkeit auf dem Bahnhof dem Volksküchenverein persönliche Kräfte entzog, und die Großartigkeit, mit welcher das Unternehmen ausgeführt war, dass Tausende außer der staatlichen Verpflegung gratis bewirtet wurden, zu gleicher Zeit das Kapital des bleibenden Unternehmens der Volksküchen beeinträchtigen könnte. Um dieser Gefahr vorzubeugen, beantragte er die Kündigung des Kontraktes mit der Regierung und die Auflösung des Erfrischungskomitees.
Worte vermögen nicht die Aufregung zu beschreiben, welche sich insbesondere der Frauen des Vorstandes bemächtigte, die mit so vieler Liebe und Aufopferung aller ihrer Kräfte sich bis dahin der schwierigen Aufgabe unterzogen hatten. Wir waren alle entschlossen, dem Antrage entgegenzutreten und verlangten zu diesem Zweck eine ordnungsgemäße Sitzung. Diese fand leider an demselben Tage statt, an welchem wir in unsere neue Verbandsstätte hinüberziehen sollten, und selbstverständlich über alles Maß beschäftigt waren: so vermochten wir nicht vollzählig derselben beizuwohnen, mein Mann blieb vielmehr zurück, um den Auszug zu leiten, während ich mit den Vorstandsdamen
- Fräulein Math. Böhm,
- Frau Dr. E. Abarbanell,
- Frau Dr. H. Abarbanell
- und Frau J. Daniel
zur Sitzung eilten, um zu protestieren und dem Verein das Unternehmen zu erhalten. — Die Sitzung war unendlich stürmisch. Vergebens führte ich an, dass gerade in diesem Augenblick, wo die Verwundeten und Kranken unserer Hilfe bedürfen ein Rücktritt unmöglich sei, ja dass die Unterstützung der Königin, die uns zur selben Zeit geworden, uns ermuntern müsste, in dem Werke fortzufahren, in welchem auszuharren unsere heiligste Pflicht sei.
Sämtliche Frauen waren mit mir hierin einig, während die männlichen Vorsteher entschieden bei ihrer Meinung blieben, kündigen zu müssen. Man stellte uns sogar entgegen, dass, da kein ordnungsmäßiges Protokoll bei Beginn des Unternehmens geführt worden wäre und es gegen die Statuten sei, andere Zwecke zu verfolgen, als Gründung und Beförderung von Volksküchen, so lege man das Unternehmen wieder in die Hand des Ehepaars Morgenstern zurück wenn dasselbe sich weigerte, überhaupt zu kündigen, da der Kontrakt auf Frau Morgensterns Namen von der Regierungsbehörde ausgestellt war.
Der Antrag des Herrn S. ging mit einer einzigen Stimme Majorität durch. Hierauf erklärte ich, keinesfalls zurücktreten zu können, und wenn der Verein sich zurückziehe, allein und auf eigene Gefahr das Unternehmen in derselben Weise wie bisher persönlich weiter fortführen zu wollen, da die freiwillige Pflege der Kranken und Verwundeten uns moralisch hierzu zwinge. Wie auch die Meinungen auseinandergingen, alle blieben wir in dem Einen treu, nach wie vor gemeinsam den Volksküchenverein aufs Beste zu fördern und in friedlicher Gemeinschaft die freiwillige Arbeit für den letzteren auch fernerhin zu leisten.
Ehe die Sitzung endigte, forderte ich die sämtlichen Damen auf, das Unternehmen das nun ein privates geworden war, mit demselben Patriotismus zu unterstützen und uns ihre schätzbaren Kräfte nicht zu entziehen.
Der Rücktritt des Volksküchenvereins als solcher war der Beginn eines harten, fortgesetzt schweren Kampfes, der unsern Mut bis zum Ende unserer Arbeit, während der Kriegszeit oft auf eine unerhörte Weise auf die Probe stellte.
Die Verbandsstätte auf dem Niederschlesisch Bahnhofe welche auf Befehl der Kaiserin unter Berücksichtigung meiner Bitte uns von dem Herzog von Ujest war errichtet worden, sollte den 23. September eingeweiht werden.
Generalarzt Steinberg kam, um zu fragen, ob wir Militärärzte für unser Lazarett wünschten. Es würde sehr schwer sein solche zu erlangen.
Ich antwortete, dass unsere freiwilligen Ärzte, die Herren
- Dr. Julius Boas
- und Dr. Plonski
uns bisher mit großer Aufopferung beigestanden hätten, es wäre mir sehr lieh, sie auch ferner zu behalten. Es müsste ihnen jedoch die Vollmacht gegeben werden. nach ihrem Ermessen Schwerverwundete von der Weiterfahrt auszuschließen und in Berlin unterzubringen.
Hierauf entgegnete der Generalarzt, dies sei unmöglich; solche Bestimmungen könnten nur von Militärärzten ausgehen, er werde mir welche schicken, es seien jedoch nur solche vorhanden, welche noch in der Prüfung ständen oder sie erst absolviert hätten. Vergebens bat ich, uns die erfahrenen Ärzte, die freiwillig sich mit Freuden der Pflege widmen wollten zu belassen.
Am ersten Tage als wir die neue Verbandsstätte bezogen hatten, trat mir der Etappenleutnant Herr von R. entgegen und sagte: »Hiermit habe ich Ihnen zu melden. dass die neue Verbandsstätte Militärlazarett ist, da zwei Militärärzte angelangt sind. Fortan haben die Damen mit der Pflege der Verwundeten nichts mehr zu tun, auch dürfen sie ohne Erlaubnis der Ärzte oder der Etappe das Lazarett nicht mehr betreten. Ich ersuche Sie daher, mir das Depot auszuliefern, welches Ihnen vom Zentralverein übergeben wurde.«
Mein Erstaunen war maßlos.
Ich erwiderte: »Sie irren, Herr Leutnant! Die Verbandsstätte habe ich von Ihrer Majestät der Königin erbeten und erhalten, ebenso sind die Herren Ärzte auf mein Ersuchen gekommen, während die Etappe beides bisher nicht veranlasst hat. Was das Depot anbelangt, so hat dies mit der Militärbehörde nichts zu tun; freiwillige Liebesgaben haben den Zentralverein in den Stand gesetzt, dergleichen große Depots der freiwilligen Pflege zu überlassen; ich betrachte dasselbe als ein mir anvertrautes Gut, das ich nach besten Kräften und gewissenhaftem Ermessen für die Soldaten verwenden werde. Von einer Übergabe kann daher keine Rede sein!«
Der Herr Leutnant entgegnete: »Ich glaube nicht, da man Ihnen persönlich das Depot übergeben hat, und wenn Sie es nicht freiwillig gehen, wird man Sie zu zwingen wissen!«
Ich antwortete: »Hoffentlich ist dies nicht die Sprache der Behörde, sondern die Ihrige. Denn das wäre wahrlich ein schöner Lohn für unsere bisherige Aufopferung!«
Ich ging nun in die Verbandsstätte, wo ich in den beiden Militärärzten zwei sehr junge Männer fand, welche die Not des Krieges frisch weg von der Pepinièere [wikipedia: Anstalt zur Aus- und Weiterbildung von Militärärzten im Königreich Preußen] geholt hatte. Ich sagte ihnen, indem ich ihnen den Vorfall mit dem Leutnant erzählte: »Meine Herren, um gemeinschaftlich hier zum Wohle der durchziehenden Truppen zu wirken, ist es notwendig unser Verhältnis zur Verbandsstätte klarzulegen. Dieselbe ist auf meine Veranlassung errichtet, um den Durchkommenden eine sorgfältigere Pflege angedeihen zu lassen, als wir es bisher im offenen Güterschuppen vermochten. Wir sind ein freiwillig arbeitendes Komitee von Frauen und Männern, welches sich gern Ihren ärztlichen Anordnungen fügen wird, wenn diese uns in angemessener Weise ausgesprochen werden: unter ein militärisches Kommando jedoch kann sich die freiwillige Pflege nicht stellen und ein Verbot, die Verbandsstätte zu betreten, erkennen wir nicht an, wir wären alsdann überflüssig und würden unsere Tätigkeit hier aufgeben.«
Die Herren (Anmerkung: Es war Dr. Bachler, der jetzige Redakteur der Staatsbürgerzeitung, und Dr. Bouness) entschuldigten sich, dies Verhältnis nicht gekannt zu haben, und ich glaubte die Sache ausgeglichen.
Einige Stunden später erschienen sämtliche Herren der Etappe beider Bahnhöfe, sowie der Vorsteher der Linienkommission und der Bauinspektor ersuchten mich, ihnen den Vorfall mit dem Leutnant zu erzählen und sagten, ich sei in meinem vollen Recht gewesen, das Depot nicht auszuliefern, da sie recht gut wüssten das mir dies persönlich für die freiwillige Pflege überantwortet sei. Allerdings würde durch den Eintritt der Militärärzte das selbstständige Pflegen der Verwundeten seitens der Damen aufhören müssen, und dadurch sei die schwierige fernere Aufgabe des Komitees nach der bisherigen außerordentlichen Aufopferung, deren Zeuge sie gewesen, nicht zu verkennen. Übrigens verlasse Herr Leutnant H. noch heute seinen Dienst am Bahnhofe und es werde überhaupt eine andere Etappe eingesetzt werden, da auch die Herren von P. und von Z., sowie der Herr Bauinspektor sich auf den Kriegsschauplatz begeben würden.
Wir bedauerten dies aus aufrichtigem Herzen, denn sowohl Herr von Putlitz, als Herr von Zollikofer und Herr Bauinspektor Seebald hatten uns bis dahin durch ihr wohlwollendes Entgegenkommen das schwierige Amt bedeutend erleichtert und uns nie fühlen lassen, dass freiwillige Pflege mit militärischer Verwaltung nicht Hand in Hand gehen könnte. — Am selben Tage kam einer der freiwilligen Zivilärzte zu uns, mitteilend, dass er aus einer unter dem Vorsitz des Herzogs von Ujest gehaltenen Versammlung des Zentralvereins käme in welcher mein Brief an die Königin zur Sprache gebracht worden sei, und dass infolge des Briefes die hohe Frau die Anregung gegeben habe, auf sämtliche Bahnhöfe hier bis auf den Kriegsschauplatz hin Delegierte zu senden, welche die Verbindung zwischen diesen und den freiwilligen Komitees aufrecht erhalten und ihnen in jeder Beziehung helfen sollte.
Es währte auch nicht lange, so kam Herr Kammerherr von Beer als Delegierter auf unseren Bahnhof. In anerkennenswertester Weise suchte derselbe eine Vermittlung der freiwilligen und militärischen Pflege herbeizuführen.
Er machte es der neu eingetretenen Etappe klar, die von uns Übergabe der Depots an Erfrischungen und Wäsche verlangte, dass das Depot aus freiwilligen Mitteln zusammengebracht, nur unserem Komitee überlassen sei, revidierte unsere bisherige Tätigkeit und war erstaunt, mit wie geringen Mitteln wir so weit ausgedehnt wirken konnten. Unter anderem prüfte er das Buch, welches die baren Beträge nachwies, die an durchziehende, nach der Heimat gehende Verwundete gegen deren Quittung ausgeteilt worden waren und bestimmte für diese Art Unterstützung eine gewisse Summe.
Doch von diesem Moment an fehlte es nicht an Kabalen und Intrigen, ganz besonders, von der neuen Etappe ausgehend, unter denen wir furchtbar litten.
Mit dem Rücktritt des Volksküchenvereins von der Speisung der Truppen auf den Bahnhöfen hörte die Tätigkeit der Damen des Volksküchenvereins während des Krieges keineswegs auf, da ein großer Teil der Vorsteherinnen und Ehrendamen in unserem Komitee verblieb, und auch aus mehreren Volksküchen noch bis zum Friedensschluss zeitweise Soldaten in größeren Massen mit Speisen versorgt wurden; z.B. von der 6. Küche, Invalidenstraße, von der 7. am Grünen Weg, später auch von der 11. Küche, damals Königstraße.
Mein Mann und ich harrten bis nach der siegreichen Heimkehr unserer Truppen aus, wie auch der Körper oft zu erliegen drohte; denn während eines ganzen Jahres kamen wir wohl kaum 20 Nächte in unser Haus.
Auf meine Meldung an das Zentralkomitee, dass sich der Volksküchenverein zurückgezogen habe und wir die Speisung und Pflege der Truppen privatim übernehmen, erhielt ich folgendes Schreiben:
Berlin, den 26. September 1870
In Erwiderung Ihrer geehrten Zuschrift vom 24. des Monats sprechen
wir Ihnen, unsere Freude
darüber aus, dass Sie sich entschlossen
haben, auch ferner Ihr Liebeswerk auf dem Niederschlesisch und Ostbahnhof
im Interesse der vaterländischen Krieger fortzusetzen.
Es
versteht sich von selbst, dass wir Ihnen gern die Verwaltung des
dortigen Depots und die Verteilung der daraus zu entnehmenden
Gegenstände an die Verwundeten
und Kranken weiter überlassen.
Genehmigen Sie die erneuerte Versicherung unserer ausgezeichneten
Hochachtung.
Das Zentralkomitee des Preußischen
Vereins zur Pflege im
Felde verwundeter und erkrankter Krieger.
An Frau Lina Morgenstern
Wohlgeboren
hier.
von Sydow.
Eine große Freude bereitete uns die Dankbarkeit der Verpflegten, wovon die Sendung des Sergeanten Freier z.B. Zeugnis gab, der mir drei Efeublätter aus dem Schloss Bellevue am 3 .September pflückte und zusendete, am Tage als daselbst Napoleon sich gefangen gab. Sein Brief möge hier der Originalität wegen wörtlich eine Stätte finden. als unmittelbarer Ausdruck eines preußischen Soldaten nach dem großen geschichtlichen Ereignis.
Schloss Bontzicourt, 11. Oktober.
Gnädige Dame!
Ich werde mich Wohl schämen dürfen einen solchen geringen Brief an Ihre werthe und hochgeachtete Person selbigen zu befördern. Doch aber bitte ich Ihnen, im Fall ich Ihrer Gnade gewürdigt sein sollte als mein benähmen um Verzeihung. Ich wage es Ihnen drei Blätter Eva zu übersenden, welche ich von dem Schloss Bellevui Geraubt, wo und in welchem der Kaiser Napoleon sich seiner Majestät als gefangener übergeben hatt. Auch dieses kleine Andenken der drei Blätter nehmen Sie gern von mir an, ich weiss Schreiben und Benehmen nicht besser zu handhaben, da ich nur geringe Schule genossen habe.
Wir liegen also hier in diesem Ort in Contoman, wo wir nach mein erachten noch die Übergabe von Meziers erwarten, wo wir Uns nach Unsern ziemlich starken Märschen ziemlich wohl befinden; Auch sehnten wir uns aus dem Lager bei Metz nach einer trockenen Ruhestelle, was wir jedoch schon circa 14 Tage erhalten haben. Auch sind mehrere erkrankt, was ich wohl wage zu sagen, das Lager bei Metz verursacht hatt; noch etwas schreckenvolleres, die begebenheit eines Landwehrmannes, ein braver Familienversorger wurde Begraben ungefähr am 5 d.M.; derselbe stand beim 52. LD. R. Tuchmacher aus Peitz mit Namen Jeschke, hat hinterlassen eine Frau mit sechs lebende Kinder: er erhielt nach Militärischen Gebrauch die Leichen-Parade, die Kapelle der Spielleute von mir geführt: es wäre möglich, wir könnten schon mehrere dahingestreckt liegen, hätte nicht die Hand des Höchsten die Feindlichen Granaten bei Metz voll uns abgehalten. Als wir uns am 10. September auf die Heerstraße begaben zum Abmarsch, wurden uns noch zwei nachgesandt doch ohne Opfer, jedoch aber können wir Alle sagen: Wer weiß wie nahe mir mein Ende: Mit der Grössten Sehnsucht verlangen wir nach die Unsrigen. doch aber nein, erst muss Ruhe sein, trotzdem ich sagen kann das mir meine schwache Frau zum Drittenmal ernähren soll mit noch drei gesunde Muntere Kinder, wegen einziehen halber: möchte sich doch ein kleiner Posten wir mich darbieten, wie gerne möchte ich selbigen annehmen mit der Grössten Dankbarkeit. Es hat uns auf den Märschen etliche Mal an Brod und Getränke gemangelt, oft an Wasser, und hir an Kaffee und Salz, auch könnte ich sagen, wenn sich Jemand aufmachte, oder wenigstens auf Postvorschuss etwas Unterjacken und Unterhosen schickte. Gern möchten wir dieses mit ein Drittheil mehr bezahlen.
Mit der besten Gesundheit Wünsche ich Ihnen mein schlichtes Briefchen in empfang zu nähmen und bitte mir alle Fehler zu verzeihen, denn dieser Brief ist die Antwort, Als wir auf dem Frankfurter Bahnhof Unsern Traktat erhielten, und sie geehrte Dame sagten bringt Uns nur Napoleon her. Gott erhalte uns Alle gesund, wo ich Ihnen viele Achtungsvolle Grüsse ertheile und meine innige Bitte an Ihn um Antwort wäre.
Adressat
Sergeant Freier, Regmts.-Tambr.
2. Brd. Landwehr Rgt. Nr. 12 Btl. Crossen
2. Ldwehr.Division.
Sergeant Freier kam als Krüppel heim und besuchte mich. Einige Jahre nach dem Kriege ist er mit seiner Familie ins Invalidenhaus zu Berlin aufgenommen worden. —
Nach der Einnahme von Straßburg begann die Überführung der massenhaften Kriegsgefangenen nach Deutschland und die fortwährende Ausweisung der Deutschen aus Frankreich, um die Pflichten und Lasten des Vaterlandes erneut herauszufordern. Auch auf unseren Bahnhöfen wuchs die Arbeit, mitunter Tag und Nacht! Züge auf Züge brachten Gefangene.
Jammervoll war der Anblick dieser armen Leute nach der Kapitulation von Straßburg. Sie waren so verhungert und elend, dass sie mit Dank unser Essen entgegennahmen und ihre letzten Kleidungsstücke, trotz der zunehmenden Kälte für ein Brot anboten, was ihnen unsererseits natürlich gratis geliefert wurde. — Von unserer gastlichen Aufnahme gerührt, erboten sich die französischen Gefangenen selbst das Geschirr zu reinigen und halfen auch mit bedienen.
Das internationale Komitee [des Roten Kreuzes] in Brüssel hatte uns mit Wein, Fleisch, warmen Kleidungsstücken und Wäsche für die Kriegsgefangenen versorgt, die wir ihnen gewissenhaft verteilten; den sie führenden deutschen Truppen reichten wir selbstverständlich Erquickungen aus unserem Depot zuerst. Dennoch fand die Bosheit Mittel in Veröffentlichung schmähender Zeitungsartikel, dass wir die Franzosen bevorzugten. Wir mussten uns förmlich durch eine Gegenerklärung schützen, dass die Speisungen der Franzosen stets von Beamten des Kriegsministeriums beaufsichtigt würden, und nur auf Anordnung des letzteren geschähe es, dass wir den unglücklichen Kriegsgefangenen Wäsche und Erfrischungen reichen, welche wir von dem internationalen Komitee erhalten hätten,
Dieser Vorfall veranlasste uns jedoch, an das internationale Hilfskomitee in Belgien, die Bitte zu stellen, Delegierte zu senden, welche selbst die Verteilung an die Franzosen übernehmen. Solche wurden uns geschickt und von dieser Zeit an hatten wir durch diese Herren eine kräftige Hilfe bei den Verteilungen, die um so notwendiger wurde, als nach Straßburgs Kapitulation über 4.000 französische Offiziere und an 17.000 französische Soldaten in unserer Bahnhofsküche verpflegt wurden.
Unsere Tätigkeit ging ununterbrochen fort und es war bewunderungswürdig, mit welchem Heroismus unsere älteren und jüngeren Damen die Nachtwachen durchmachten und sich durch nichts in der Pflege abhalten ließen.
Am 1. Oktober 1870 erfreute Königin Augusta mich mit folgendem Handschreiben:
Sie haben mich zu meinem Geburtstage durch einen poetischen Glückwunsch erfreut, für den ich Ihnen aufrichtig danke; mehr aber noch danke ich Ihnen für Ihre Leistungen auf dem praktischen Gebiete der Humanität. Aus der segensreichen Tätigkeit der Volksküchen ist die Verpflegung auf den Bahnhöfen hervorgegangen, welche Sie mit großer Opferfreudigkeit leiten und dabei von den unermüdlichen Berliner Frauen erfolgreich unterstützt werden.
Berlin, den 1. Oktober 1870.
Augusta.
An Frau
Lina Morgenstern
hier.