Hilfsbuch zur Gründung,

Leitung und Kontrolle von Volksküchen

Lina Morgenstern

Königin Augusta von Preußen besucht die Volksküchen und stiftet die Prämierung für langjährige Dienstzeit des Küchenpersonals

Der Notstand in der Provinz Ostpreußen erregte den Wunsch, auch in jenen vom Unglück heimgesuchten Gegenden Volksküchen nach dem Muster der Berliner zu errichten. Vielfache Anfragen gelangten daher von den dortigen Hilfsvereinen an den Vorstand und veranlassten mich, im Auftrage desselben einen Organisationsplan für Notstandsküchen zu diesem Zwecke zusammenzustellen, die in den Städten Königsberg, Bromberg, Anklam etc. benutzt worden sind. Auf Wunsch der Königin Augusta, welche Kenntnis davon erhalten hatte, wurden einige meiner Pläne dem Herrn Geheimrat Esse, damaligem Verwaltungsdirektor der Charité zur Verfügung gestellt.

Am 2. Februar 1868 wurde die 6. Volksküche, Invalidenstraße 66g, der Benutzung des Publikums übergeben. Die Leitung des Lokalkomitees übernahm Frau Grübs † und behielt sie bis 1869.

Diese Küche wurde zum ersten Mal mit besonderer Feierlichkeit eröffnet, welche dadurch eine hohe Weihe erhielt, dass I.M. [Ihre Majestät] die Königin von Preußen, Augusta ihr beiwohnte (Anmerkung: Königin Augusta hatte kurze Zeit vorher den Cabinetrat Dr. Brandis in die erste Volksküche gesandt, und die Absicht ausgesprochen eine Volksküche besichtigen zu wollen.), welche, nach der Ansprache des Vorsitzenden, Herrn Direktor Lehmann, von den Speisen des Tages kostete, die sie sehr wohlschmeckend fand. Zum ersten Mal wurde mir die hohe Gunst die Königin in den Volksküchenräumen umher zuführen. Damals, wie so oft später, bezeigte die edle Fürstin eine warme, eingehende Teilnahme für alle Einrichtungen und ließ sich von der Aufgabe und Bedeutung der Volksküche erzählen, über die sie sich in anerkennenster Weise aussprach.

Diese, das Unternehmen wohltuend fördernde Teilnahme zeigte sich erneut, als die Königin, welcher auf deren ausgesprochenen Wunsch die Gründung jeder ferneren Küche angezeigt werden sollte, auch zur Eröffnungsfeier der siebenten Küche, Grüner Weg 9/10, am 10. Februar 1868 erschien. Diesmal hielt Herr Prof. von Holtzendorf die festliche Anrede, in welcher er über die soziale Bedeutung Königin Augusta besucht die Volksküche der Volksküche sprach. Schon hatten sich die Räume mit Speisenden gefüllt; außerdem waren die Mitglieder des Vorstandes, der Lokalvorstand und die dortigen Bezirksgenossen versammelt. Die Fürstin lobte die Beteiligung der freiwillig wirkenden Frauen, die einen sichtbar sittlichen Einfluss auf das speisende Publikum üben und deren Opfer Anerkennung verdiene. Von da ab ließ die hohe Frau bei jedem Besuch ein Geldgeschenk für die Speisung Notleidender, wie ein solches für das Dienstpersonal zurück.

Bei Gründung der siebenten Küche Grüner Weg 9, hatten sich die Stadtbezirke des Stralauer Viertels besonders beteiligt.

Nämlich bei der ersten freiwilligen Sammlung im Jahre 1866 hatten jene Bezirke dem Herrn Dr. Schwerin eine Summe Von 373 Taler 18 Silbergroschen 9  Pfennig oder 1.120,89 Mark, mit der Bedingung übergeben, dass eine Volksküche in ihrem Bezirk erbaut werden sollte; da jedoch diese Bedingung nicht früher wegen Mangel passender Lokalitäten erfüllt werden konnte, wurde diese Summe dem Verein für Volksküchen von 1866 bei Errichtung der siebenten Küche durch Vermittlung des Herrn Dr. Schwerin ohne jede Bedingung überwiesen.

Am 29. April 1868 fand die ordentliche Generalversammlung statt, zu welcher zum ersten Mal eine vollständige Mitgliederliste entworfen, und an sämtliche Mitglieder Legitimationskarten versandt wurden.

Am 8. April 1868 eröffnete der Verein seine 8. Volksküche, Friedrichstraße 9, die ich der Leitung der Frau Minna Seeger und zahlreichen Ehrendamen übergab.

Zum dritten Male wohnte die Königin einer Volkskücheneröffnung bei. Sie äußerte, dass, wenn sie sich auch leidend fühle, sie der Freude nicht entsagen wolle einen neuen Fortschritt des Unternehmens zu begrüßen.

Die Königin äußerte an jenem Tage, dass es ermunternd für die dienenden Beamten der Küche wäre, für treue ausdauernde Dienstzeit eine Prämie zu erhalten. Am folgenden Tage wurde ich ins Palais gerufen, wo Gräfin Hacke mir mitteilte, dass Königin Augusta für drei-, fünf- und zehnjährige Dienstzeit in den Volksküchen eine Prämie stiften wolle. Dieselbe bestand aus einem Goldstück und einem goldenen Kreuz, sowie einer oxydierten Brosche mit einem »A« in Relief und der Inschrift »für treue Dienste«. Später wurde die dreijährige Dienstzeit und das goldene Kreuz respektive Brosche zurückgezogen und für fünfjährige Dienstzeit 20 Mark und für zehnjährige Dienstzeit 40 Mark von Kaiserin Augusta gespendet.

Diese Prämierung, welche mit dem Tode der hohen Frau erlosch, trug wesentlich zu dem sittlichen Verhalten und der Treue der Leute in den Volksküchen bei, da sie das Bewusstsein gab, einer Auszeichnung seitens der hochherzigen Landesmutter gewürdigt zu werden. Alljährlich wurde um die Weihnachtszeit das Verzeichnis der zu Prämierenden von mir als der Vorsitzenden eingereicht und ausnahmslos von der hohen Protektorin berücksichtigt.

Am 18. Juni 1868 ward eine neue, die 9. Volksküche, Linienstraße 47, vom Verein dem Publikum zur Benutzung übergeben. Den Vorstand hatte der Stadtverordnete Herr May und seine Gattin † und ein zahlreiches Aufsichtskomitee übernommenen.

Den glänzendsten Erfolg hatte die am 8. Oktober 1868 eröffnete 10. Küche, Elisabethufer 37, die einzige unserer Anstalten, die sich noch heute in demselben Lokal befindet. Während es sonst die größte Mühe machte, Damen und Herren zum Lokalvorstand aufzusuchen, kamen uns solche aus dem Oranienbezirk freiwillig entgegen.

Unter dem Vorstand der Frau Dempwolff †, welcher Herr von Siegroth † als Vorsteher zur Seite trat, da damals neben den Damen noch Küchenvorsteher tätig waren, hatte diese Küche bereits nach 14 tägigem Bestehen einen täglichen Konsum von 900 bis 1.000 Personen und erhielt sich vom ersten Tage an selbst.

Unter den Ehrendamen, welche bei Eröffnung der 10. Volksküche eingetreten waren, befand sich Fräulein Johanna Degner, welche 32 Jahre bis heute in ihrem Ehrenamt ausharrte, eine Ausdauer in freiwillig übernommener Pflicht, welche Anerkennung verdient und dadurch erhielt, dass Fräulein Degner zum Ehrenmitglied ernannt wurde.