Hilfsbuch zur Gründung,

Leitung und Kontrolle von Volksküchen

Lina Morgenstern

Veränderung im Vorstand — Kampf und Sieg

Im Sommer 1867 verließ der damalige Vorsitzende Herr Mankiewicz Berlin. Den Vorsitz übernahm Staatsanwalt a.D. Schröder und nachdem auch dieser verreiste, übernahm Dr. Otto Lindner, Chefredakteur der »Vossischen Zeitung«, provisorisch den Vorsitz, den er jedoch nur einen Monat inne hatte, da er am 7. August 1867 nach kurzer Krankheit starb. Sein Verlust war allgemein und besonders für den Verein tief zu beklagen, da er demselben mit innigstem Verständnis und warmer Teilnahme anhing.

Durch die kaufmännische Geschäftsführung war ein Überblick der Gesamttätigkeit aller Küchen gegeben, die fast alle durch den vermehrten Konsum nicht allein das Ziel der Selbsterhaltung erreicht hatten, sondern bereits einen kleinen Überschuss ergaben, der den Verlust der im Frühling 1867 geschlossenen Küchen zu decken anfing. Auch die nach der Landsberger Straße 65 verlegte 4. Volksküche, seit 1. Oktober 1867 daselbst eröffnet, hatte einen täglichen Konsum von über eintausend Personen. Fräulein Mathilde Böhm † wurde deren Vorsteherin.

Diese Lebensfähigkeit der Volksküchen veranlasste die Herren Staatsanwalt Schröder †, Kommerzienrat Jürst † und Justinus zur Ausarbeitung eines neuen Planes, nach welchem der Verein sich auflösen und in ein Aktienunternehmen umwandeln sollte, in welchem die freiwillige Mitwirkung der Damen ausgeschlossen sein sollte. Mit diesem, von jenen drei Vorstandsherren unterzeichneten Statutenentwurf und einem von Herrn Staatsanwalt Schröder verfassten Jahresbericht, die beide von den übrigen Vorstandsmitgliedern und dem engeren Ausschuss abgelehnt wurden, traten die Herren vor die Generalversammlung vom 29. Oktober 1867.

Die Frauen, die Träger des ganzen Unternehmens, die mit bewunderungswürdiger Zähigkeit und Ausdauer bisher ihre freiwilligen Pflichten ausgeübt hatten und die allein dazu beitrugen, dass in den Küchen keine Unterschleife [Unterschlagung] von Seiten des Personals stattfinden konnten, die Frauen, durch deren tägliche Anwesenheit die Volksküchen allein ihren bedeutungsvollen, sittlichen, sozial-wohltätigen Charakter angenommen, wollte man ausschließen um das humane Werk in ein Aktienunternehmen umzuwandeln!

Das erregte nicht allein einen mächtigen Sturm in den Gemütern der mitwirkenden Damen, sondern es traten für sie treue Kämpfer ein, welche ihre Rechte wahrten, aber die vor allem die Volksküchen, als ein jeder Geldspekulation fernes Institut der Humanität zu erhalten suchten.

Von diesen ehrenwerten Männern, denen in Wahrheit die Rettung der Volksküchen zu danken ist, und zu denen Professor Dr. Virchow, Dr. Max Ring und Carl Heinitz gehörten, wurden in der Generalversammlung am 29. Oktober in den Vorstand gewählt die Herren:

Am 1. Dezember 1867 wurde die 5.  Küche, Kommandantenstraße 36 eröffnet (Anmerkung: Dieselbe befindet sich jetzt Oranienstraße 113 / 114). Die technische Leitung der Baulichkeiten und Erneuerungen übernahm von da ab für alle Küchen Herr Theodor Morgenstern bis 1878; mir blieb die Organisation der Lokalvorstände und die Einrichtung jeder Küche überlassen.

Vorsteherin der 5. Küche wurde Frau Dr. Elise Abarbanell †, welche an Tüchtigkeit, Eifer, Verständnis und Liebe es bald ihren Kolleginnen gleich tat. Herr Sonnenberg wurde ihr männlicher Beistand und sorgte zum ersten Mal für ein entsprechendes Herrenkomitee, neben der zahlreichen Beteiligung der Ehrendamen, die, wie alle bestehenden Lokalvorstände, ihre freiwilligen Pflichten mit sittlichem Ernst erfüllten. Der Besuch des speisenden Publikum in den verhältnismäßig kleinen Räumen dieser Küche überstieg an manchen Tagen 1.000 Personen.

Indes führten die drei Herren Schröder, Jürst und Justinus ihren Plan aus. Sie errichteten neben den Vereins-Volksküchen solche, die ihrem Zweck entsprachen, die jedoch jenen durchaus keinen Abbruch taten, vielmehr den Eifer der Vorstandsmitglieder für die gute Sache noch mehr spornten. Um sich von diesem und jedem ähnlichen Unternehmen zu unterscheiden, nahm unser Verein den Namen der »Berliner Volksküchen von 1866« an. Die Küchen jener Herren bestanden nur kurze Zeit.