Hilfsbuch zur Gründung,

Leitung und Kontrolle von Volksküchen

Lina Morgenstern

Neueinrichtung der Volksküchen nach Beendigung des Krieges von 1866

Die Herren des Vorstandes, weit entfernt davon mit meinem energischen Vorgehen zufrieden zu sein, zeigten ihre Missbilligung, indem sie ihre Ämter niederlegten, wozu wohl auch beitrug, dass der Cholera wegen Herr von Hennig und Herr Soltmann Berlin verließen. Auch der Schriftführer Herr Assessor Eugen Richter schickte mir die Akten des Vereins, und so sah ich mich veranlasst, Herrn Jacques Meyer zu bitten eine Generalversammlung zur Neuwahl des Vorstandes einzuberufen. Diese fand am 27. Juli statt.
Es wurden gewählt: zum

Sonntags vor der VolkskücheDa ich nun fühlte, dass energisch mit Errichtung weiterer Küchen vorgeschritten werden musste, bildete ich ein Lokalkomitee für die Brunnenstraße 115 unter Leitung des Herrn Goehl und Frau und eröffnete die 2. Volksküche um 18. Juli 1866.

Am 20. Juli eröffnete Herr Jacques Meyer seine in allen Einrichtungen vortreffliche Küche unter seiner Leitung, unterstützt von Ehrendamen, als die dritte Volksküche. Es ist zu beklagen, dass die örtlichen Verhältnisse dem Aufblühen der Küche hemmend waren, indem das »Speiseabholen« sich gerade für die Fabrikarbeiter durchaus nicht günstig bewährte und man überhaupt erst mit dem Unternehmen mehr vorgeschritten sein musste, um gerade das Vorurteil der Arbeiter zu überwinden, die noch immer die Volksküchen mit den Suppenanstalten verwechselten und eine Almosenannahme scheuten. Diese Küche hielt sich nur ein halbes Jahr.

Auf Vorschlag des Gasthofbesitzers Herrn Weissbach eröffnete der Verein in dessen Hause Dessauer Straße 38 eine 4. Volksküche am 1. September und am 3. Oktober eine fünfte in der Ritterstraße 107, deren Leitung Herr und Frau Romstädt übernahmen.

Nach Friedensschluss und Heimkehr der Truppen, hatte der Konsum sich bedeutend vermindert, da während der Kriegszeit viele Marken von Wohltätern gekauft worden waren. Man hatte vom Tage der Errichtung bis 31. Oktober in allen Küchen zusammen 799 Taler 2 Groschen 9 Pfennig zugesetzt. Dies veranlasste den Vorsitzenden, Herrn Mankiewicz, in der Generalversammlung am 9. November 1866 den Antrag zu stellen: »In Anbetracht, dass die Volksküchen eine bedeutende Verminderung der Konsumenten erfahren hätten und daher größeren Zuschuss beanspruchten, dieselben zu schließen, eventuell nur eine, versuchsweise bestehen zu lassen.«

Dieser Antrag erregte jedoch einen heftigen Sturm in der zahlreich besuchten Versammlung und wurde nach lebhaft geführter Debatte bekämpft, und von mir ein Gegenantrag eingebracht, welchen die Herren: Dr. Lindner, Dr. M. Ring, Assessor Lehfeld, Gustav Schauer † unterstützten. Unser Antrag lautete, die Volksküchen unbedingt fortbestehen zu lassen, so lange Kapital vorhanden sei. »In Anbetracht, dass ein dreimonatlicher Versuch in abnormen Zeitverhältnissen nicht maßgebend sei, müssen weitere Versuche, die Volksküche als dauernde soziale Wohltat zu erhalten, angestellt werden und zwar seien dieselben zu reorganisieren, indem Speiseräume mit ihnen verbunden werden müssten woselbst die Speisenden, Männer und Frauen, in getrennten Räumen ihren Mittagstisch einnehmen können.« Der Antrag wurde dadurch motiviert, da die Küchen keineswegs kaufendes Publikum verloren hätten, sondern dass nur durch das Verschenken der Marken, welches allmählich nach dem Kriege aufhörte, weniger Speisemarken gekauft wurden.

Mit der Annahme dieses Antrages wurden die Volksküchen bleibend erhalten. Bei der Neuwahl trat Dr. Lindner in den Vorstand, welcher der Verwaltung eine ununterbrochene Tätigkeit widmete, die das Gedeihen der Anstalten förderte.
Außer ihm wurden in den Vorstand gewählt:

Da Letzterer die Wahl nicht annahm, trat für kürzere Zeit Assessor Oppenheim, und als dieser ablehnte,

in den Vorstand. Die weiblichen Vorstandsmitglieder blieben

Nach dem Antrag des Herrn Dr. Lindner wurde die Geschäftsordnung dahin geregelt, dass die Küchenvorstände alle vierzehn Tage beratende Sitzungen hielten, deren Anträge in den auch alle vierzehn Tage stattfindenden Ausschusssitzungen des Zentralvorstandes zur Beschlussfassung kamen, so dass die Küchenvorstände gleichsam das Parlament, der Zentralvorstand die Exekutive bilden.

Ein neues, höchst günstiges Stadium trat in dem Unternehmen von dem Augenblick ein, als die Volksküchen mit Speiseräumen versehen wurden.

Es geschah dies zuerst in dem Lokal Kochstraße 9, in welches die 1. Volksküche verlegt wurde. Hier waren Speiseräume, die gestatteten, dass in den Stunden von 11 bis 1 Uhr bis zu 1.000 Personen speisen konnten. Diese Einrichtung brachte schon in den ersten Tagen einen so großen Zuspruch, dass die Räume das Publikum kaum fassten. Die Scheu vor dem Besuch der Volksküchen war somit besiegt. Handwerker, kleine Beamte, Soldaten, Commis [wikipedia: Kontorist, Handlungsgehilfe oder kaufmännischer Angestellter], Dienstmänner, selbst einige Studenten, Frauen und Mädchen aus dem Arbeiterstande, aus Geschäften und Fabriken, Lehrerinnen, ganze Familien mit Kindern, und Kinder allein, welche die in andern Stadtteilen arbeitenden Eltern hier abonniert hatten, bildeten die Stammgäste der Volksküche. Zu den letzteren gehörte ein verarmter Baron von Falken aus Königsberg, welcher 24 Jahre bis zu seinem 1890 erfolgten Tode täglich in der Volksküche speiste. Außer den in der Küche Speisenden, holten ⅙ der Konsumenten den Bedarf aus derselben nach Hause.

Zugleich mit dem wachsenden Konsum trat diese Küche dem Ziel der Selbsterhaltung nach wenigen Monaten nahe, da fast täglich ein kleiner Überschuss blieb, wodurch bereits im März 1867 das aus der Hauptkasse erhaltene Vorschusskapital zum Teil zurück erstattet werden konnte. Im selben Verhältnis, wie diese Küche ein günstiges, ergaben die auf früheren Einrichtungen basierten Küchen ein ungünstiges Resultat, so dass der Beschluss gefasst wurde, dieselben im Frühling 1867 zu schließen, und neue Küchen mehr im Innern der Stadt, nach dem Muster der von mir in der Kochstraße 9 verwalteten, anzulegen, so dass für jede fernere Küche ein weiblicher Vorstand und ein Damenkomitee zur regelmäßigen Aufsicht erwählt werden sollte, dem ein Herr als Beirat beitreten konnte. Außerdem wurde Bedingung, das die Lokale freundlich, geräumig und an der Straße gelegen, in belebten Stadtteilen aufgesucht werden mussten. Ein solches Lokal fand ich in der Grünstraße 4. Dort errichtete ich die 2. Volksküche statt der in der Brunnenstraße geschlossenen.

Um die Einrichtung und Organisation die Küche ungestört leiten zu können, übergab ich den bis dahin geführten Vorstand der Kochstraße 9 an das Ehepaar Justinius, welches bis 1. November 1867 das Vorstandsamt verwaltete. Bei Gründung der zweiten Küche standen mir bereitwillig die Bezirksvereine von Cölln und Friedrichs-Werder bei. Nicht allein Frauen, sondern auch Männer traten in das Aufsichtskomitees, und bald übertraf der Erfolg in dieser Küche alle Erwartungen.

Da der Vorstand durch den glücklichen Fortgang der 1. und 2. Küche eine Basis für fernere Einrichtungen erhielt, wurde auf Antrag des Herrn Dr. Lindner, das bisherige in vielen Punkten, der Erfahrung nach, ungenügende Statut einer Revision unterworfen und der von dem genannten Herrn eingebrachte Entwurf in der Generalversammlung vom 16. April 1867 en bloc angenommen.

Bis zu dieser Zeit lagen der jedesmaligen Vorsteherin Kassen und Buchführung der Küchen ob, während die Hauptkasse des Vereins vom Schatzmeister geführt wurde und ein besoldeter Sekretär die monatliche Kontrolle der Bücher übte und die Abschlüsse besorgte.

Dies zeigte sich als ungenügend, da die Vorstandsdamen ohnedies mit Arbeit für ihre Küche so sehr überhäuft wurden, dass man ihrem freiwilligen Ehrenamt nicht länger die Zumutung stellen konnte, auch die Mühewaltung einer geregelten Buch- und Kassenführung zu übernehmen. Daher wurde am 2. Juni 1867 ein Zentralbüro mit besoldetem Buchhalter zur geschäftsmäßigen Führung der Bücher und Kasse eingerichtet.

Auch das Markensystem wurde dahin geändert, dass statt der üblichen Papiermarken, mit den Nummern der Küchen versehen, Blechmarken eingeführt und die Praxis geübt wurde, nicht vorher, wie bis dahin, sondern unmittelbar vor Verabreichung der Speisen die Marken zu verkaufen. Dies bot dem Publikum eine große Erleichterung, da fortan Jeder in eine Volksküche treten und sofort daselbst speisen konnte.

Um die 3. Volksküche, Rosenthaler Straße 41, organisieren zu können, übergab ich die Leitung der 2. Küche Frau Jeannette Daniel †, die mit unermüdlicher Pflichttreue und hingebendem Eifer Vorsteherin dieser Küche, so lange verblieb, bis sie von Berlin 1867 nach Kapstadt in Südafrika übersiedelte, wo sie nach einigen Jahren starb.

Am 3. Juni eröffneten wir die von der Köpenicker Straße verlegte 3. Volksküche nach der Rosenthaler Straße (Anmerkung: Gegenwärtig befindet sich diese Speiseanstalt an der Stadtbahnstation Börse, Bogen 10/11.). Nach Organisation derselben übergab ich sie an Frau Frau Henriette Albarbanell  † als Vorsteherin.