Die Eröffnung der ersten Volksküche
Die größte Schwierigkeit war passende Lokale zu finden. Herr Jacques Meyer begann eine Küche auf seinem damaligen Fabrikgrundstück, Köpenicker Straße 17 – 21 zu bauen. Die Herren von Hennig, Soltmann und Richter wurden beauftragt, eine Volksküche Brunnenstraße 115 in dem unbenutzten Lokal der Armenspeiseanstalt zu eröffnen. Auch einige andere Herren, unter anderen Herr Ravené †, beschlossen, Volksküchen einzurichten. Tatsächlich errichtete er eine Arbeiterküche, trat jedoch nicht dem Verein der Volksküchen bei und schloss dieselbe nach der Kriegszeit.
Die Erlaubnis zur Benutzung der im Winter geöffneten Armenspeisungslokale wurde dem Volksküchenverein von dem damaligen Vorsteher derselben, Oberbürgermeister a.D. Krausnick † , erteilt.
Allein der Monat Juni verfloss, ohne dass die Herren weiter kamen.
Die Kriegsereignisse entwickelten sich schnell; dazu kam, dass die Cholera in der Stadt zu wüten begann. Da erbat ich mir die Erlaubnis, eine provisorische Volksküche binnen drei Tagen eröffnen zu dürfen. Zögernd nur wurde sie mir von dem Vorsitzenden, Herrn von Hennig, gegeben, der behauptete, was die Männer bis jetzt nicht vermochten, werde eine Frau nicht in drei Tagen vollbringen. Ich erhielt einen Kassenvorschuss von 200 Taler um 4. Juli. Am 7. Juli kochten wir bereits in der ersten Volksküche, in einem Lokal der städtischen Armenspeisung, Charlottenburger Straße 87, vor einem Aufsichtskomitee von 21 Damen und einigen Herren Probe. Am 9. Juli wurde die Küche dem Publikum eröffnet.
Unvergesslich bleiben mir jene drei Tage aufreibender Arbeit, die dieser Eröffnung vorangingen. Das Aufsuchen und Anlernen einer Wirtschafterin und Köchin, die Zusammenstellung der Speisen, die Einteilung der Portionen, der Einkauf der Kücheneinrichtung und Zerealien, die Auswahl von Lieferanten, das Markensystem und die Bildung und Einladung von 21 Damen zum Lokalkomitee waren Arbeiten, bei denen ich von Frau Maria Gubitz und meinem Ehemann unermüdlich und treu unterstützt wurde. Nichts war bis dahin vorbereitet, oder festgestellt worden.
Schon seit der Plan zur Begründung der Küchen in mir gereift war, hatte ich mich mit den bisherigen Ergebnissen von Massenspeisungen beschäftigt; Beratungen mit dem Inspektor des Friedrich-Wilhelm-Hospitals, des Arbeitshauses und der Armenspeisungsanstalten hatten stattgefunden um über das dort Gereichte Informationen einzuholen. Was in all diesen Anstalten gegeben wurde, wurde als ungenügend selbst im Maß verworfen. Den ersten Anhalt zur genügenden Beköstigung erhielt ich durch einen Bericht der Egestorffschen Arbeiterküche in Linden-Hannover. Danach machte ich meine Vorberechnungen und traf die ersten Anordnungen.
Am 9. Juli holten bereits über 100 Personen ihre Speisen aus der Küche, obgleich es für das Publikum ziemlich unbequem war, Marken Tags zuvor zu kaufen, da wir Anfangs danach unsere Einrichtungen treffen mussten. Der Teilnahme der edlen Frauen des Aufsichtskomitees jedoch war es am meisten zu danken, dass die Speisekaufenden bald die Scheu verloren, welche ihnen das Lokal der Suppenanstalt einflößte, denn das Mitgefühl an der Not jener Zeit war so groß, dass sich die Damen den unbemittelten Familien der Speisenden näherten und wo sie es vermochten, ihr Elend zu erleichtern suchten. Andererseits, da es der Grundsatz war, aus den Küchen selbst und auf deren Kosten nichts zu verschenken, kauften die Damen und Herren des Komitees Marken und unterstützten auf solche Weise selbst viele Familien aus den besseren Gesellschaftskreisen, die durch den Krieg verarmt waren. Den Damen stand am Anfang täglich ein Herr in der Aufsicht der Küche bei. Unter diesen sind es besonders Herr Sonnenberg und mein Mann, die dem guten Werke ihre Arbeitskraft gewidmet haben.
Die 21 Ehrendamen waren
- Frau Gubitz,
- Frau Ernestine Gerson †,
- Fräulein Marie Salzmann †,
- Franziska Berthold,
- Valesca Heymann später verehelicht Frau Dr. Rosenstein,
- Frau und Fräulein Lehfeld später verehelicht Frau Prof. Paul Meyerheim,
- Fräulein Lehmann später verehelichte Frau Dr. Feig und Frau Dr. Birnbaum,
- Frau Assessor Lehfeld,
- Frau Johanna Rosenwald,
- Fräulein Martha Waldeck,
- Fräulein Franzisca Lehmann,
- Fräulein Pauline Vorast †, Schulvorsteherin,
- Fräulein Anna und Hedwig Gerson später verehelichte Meyer und Frau Küttner,
- Fräulein Franziska Strahl später verehelichte Rechtsanwalt Zentner,
- Frau Dr. Jonas,
- Frau Amalie Jacoby,
- Frau Amalie Raebel
- und Fräulein Meyer I u. II,
die bei der täglichen Kontrolle mit warmem Eifer halfen. Noch ist zu bemerken, dass die Küchen zuerst nur zum Abholen der Speisen eingerichtet waren. Es fanden sich jedoch von Beginn an einige Stammgäste, die selbst mit dem kleinsten Plätzchen am Herd fürlieb nahmen, um an Ort und Stelle essen zu können.