Revidiertes Statut des Vereins der Berliner Volksküchen von 1866
welchem am 5. August 1871 Korporationsrechte verliehen worden sind.
Zuletzt revidiert 1897.
No. I. Zweck
§ 1
Der im Jahre 1866 begründete, nach Maßgabe des revidierten Statuts vom 29. April 1871 weitergeleitete und verwaltete »Verein der Berliner Volksküchen von 1866« , welcher den Zweck verfolgt, in den von ihm eingerichteten gemeinnützigen Speiseanstalten (Volksküchen) nährende, schmackhafte und gesunde Speisen zum Genuss an Ort und Stelle und an Abholende zu verabfolgen, und welcher seinen Sitz in Berlin hat, nimmt zufolge Beschlusses der Generalversammlungen vom 25.April und 30.April 1897 nachstehendes Statut als neue Grundverfassung an.
§ 2
Die Volksküchen sind Anstalten zur wirtschaftlichen Hilfe für Unbemittelte, beruhend auf dem Grundsatz der Selbsterhaltung durch den Konsum; unter unentgeltlicher Leitung, Beaufsichtigung und Kontrolle durch den Zentralvorstand, die Vorsteherinnen der Volksküchen und die Ehrendamen.
§ 3
Der Verkaufspreis der Speisen wird den durchschnittlichen Herstellungskosten entsprechend normiert. Speisen dürfen weder unentgeltlich noch anders als zu den normierten Preisen verabfolgt werden. Solche Küchen, welche dauernd eines Zuschusses bedürfen, sollen durch Beschluss des Zentralvorstandes aufgelöst werden.
No. II. Vermögen
§ 4
Die Mittel, welche dem Verein zur Erreichung seines Zweckes zur Verfügung stehen, sind das sich am 31. Dezember 1896 auf 129.466 Mark, 20 Pfennig belaufende Kapitalvermögen.
Für die zinsbare Belegung der Kapitalien ist der § 39 der Vormundschaft-Ordnung vom 5. Juli 1875 (Gesetzsammlung, Seite 439 ff.) maßgebend.
§ 5
Aus dem Vermögen des Vereins ist ein Reservefonds gebildet, welchem zufließen:
- alle nicht zur Deckung der laufenden Ausgaben erforderlichen Gelder.
- alle Zuwendungen und Geschenke, an welche nicht besondere Bedingungen geknüpft sind.
Bezüglich der Anlegung des Reservefonds gilt die Bestimmung des § 4.
No. III. Mitgliedschaft
§ 6.
Mitglieder des Vereins sind:
- Alle diejenigen, welche sich bei Gründung des Vereins mit einem Beitrage oder mit freiwilliger Hilfe dauernd beteiligt haben;
- Alle diejenigen, welche im Verein eine dauernde unentgeltliche Tätigkeit leisten, und zwar sowohl während der Dauer dieser Tätigkeit, als auch, falls diese ein Jahr lang geleistet ist, nach deren Aufgeben;
- Diejenigen, welche dem Verein Zuwendung von mindestens 100 Mark gemacht haben.
Jedes Mitglied erhält eine Mitgliedskarte, welche zur Teilnahme an den Mitgliederversammlungen und zum Mitstimmen in denselben berechtigt. Die Mitgliedschaft hört im Fall der No. 2 auf, wenn die dort geleistete Tätigkeit früher als nach Jahresfrist aufgegeben wird. In den übrigen Fällen erlischt sie durch erklärten Austritt, Tod, geistige Unfähigkeit, Bestrafung mit Ehrenstrafen oder durch vom Zentralvorstand festgestellte Untreue des Mitgliedes gegen den Verein.
Diejenigen, welche nach den bisherigen Statuten die Mitgliedschaft erlangt haben, behalten dieselbe nach den früheren Vorschriften.
§ 7
Personen, welche sich um den Verein in hervorragender Weise verdient gemacht haben, können vom Vorstande zu Ehrenmitgliedern ernannt werden.
No. IV. Organe der Verwaltung
§ 8
Der Verein wird geleitet und in allen Angelegenheiten einschließlich derjenigen Geschäfte, für welche die Gesetze eine Spezialvollmacht erfordern, vor Behörden und Privatpersonen gegenüber — geeigneten Falls cum facultate substituendi [wikisource.org: mit dem Recht zur Unterbevollmächtigung.] — vertreten durch einen aus sechs Herren und drei Damen bestehenden Zentralvorstand, der durch die Generalversammlung alljährlich gewählt wird.
§ 9
Der Zentralvorstand wählt aus seiner Mitte
- den Vorsitzenden des Vereins,
- die Vorsitzende der Lokalvorstände,
- den stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins,
- die stellvertretende Vorsitzende der Lokalvorstände,
- den Schatzmeister,
- den Kassenkurator,
- den technischen Leiter,
- den Schriftführer,
- den stellvertretenden Schriftführer.
Die Wahl erfolgt durch Stimmzettel, kann aber auch, falls Widerspruch nicht stattfindet, durch Zuruf stattfinden. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los.
Die Geschäftsverteilung regelt sich nach den Ämtern respektive nach besonders festzustellenden Instruktionen.
Der Zentralvorstand zieht zu jeder Sitzung nach festzustellender Ordnung der Reihenfolge vier Küchenvorsteherinnen als Vertretung der Lokalvorstände zu, welche an den Beratungen mit vollem Stimmrecht teilnehmen.
Urkunden, welche den Verein vermögensrechtlich verpflichten sollen, sind unter dessen Namen vom Vorsitzenden und vom Schriftführer (respektive den betreffenden Stellvertretern) zu vollziehen.
Zur Legitimation dieser Vorstandsmitglieder nach außen dient ein Attest des Königlichen Polizeipräsidenten zu Berlin, welchem zu diesem Behufe die jedesmaligen Wahlverhandlungen mitzuteilen sind.
§ 10
Der Vorsitzende, im Behinderungsfalle sein Stellvertreter, leitet die Verhandlungen des Zentralvorstandes und der Generalversammlungen.
Der stellvertretende Vorsitzende hat in Behinderungsfällen den Schatzmeister und den Kassenkurator zu vertreten.
§ 11
Zur Beschlussfähigkeit des Vorstandes ist, den Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter und den Schriftführer oder dessen Stellvertreter mit einbegriffen, die Anwesenheit von sieben Mitgliedern des Vorstandes mit Vertretern der Lokalvorstände erforderlich.
Die Beschlüsse werden nach Stimmenmehrheit gefasst, bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.
Über die bezüglichen Verhandlungen ist vom Schriftführer ein Protokoll aufzunehmen und von diesem und dem Vorsitzenden zu vollziehen. Gleich den übrigen Archivakten des Vereins sind die Protokolle — unter Verantwortung des Schriftführers aufzubewahren.
§ 12
Zur Führung der Bücher und Kasse richtet der Zentralvorstand ein Büro mit besoldeten Beamten ein. Diese stehen unter spezieller Aufsicht und Kontrolle des Schatzmeisters und Kassenkurators.
§ 13
Die Ämter des Zentralvorstandes und der Lokalvorstände werden unentgeltlich verwaltet.
§ 14
Der Zentralvorstand hat für sich und die Lokalvorstände Geschäftsordnungen aufzustellen.
§ 15
Zur Leitung der einzelnen Küchen wählt der Zentralvorstand die ihm verantwortlichen Küchenvorstände (Lokalvorstände) bestehend aus:
- der Küchenvorsteherin,
- deren Stellvertreterin,
- den Ehren- oder Aufsichtsdamen.
§ 16
Jeden Monat findet eine Versammlung des gesamten Zentralvorstandes, alle 14 Tage eine Versammlung der Damen des Zentralvorstandes und der Küchenvorsteherinnen, unter Leitung der Vorsitzenden der Lokalvorstände, eventuell deren Stellvertreterin statt.
In ersterer werden allgemeine Vereinsangelegenheiten beraten und wird über die Anträge Beschluss gefasst, welche seitens der Lokalvorstände an den Zentralvorstand gestellt werden.
In letzterer Versammlung werden die inneren Angelegenheiten der Küchen besprochen, um eine einheitliche Leitung zu erzielen. Dazu gehört Beschluss über Wahl der Lieferanten und Bezugsquellen, die Entgegennahme der Inspektionsberichte, die Frequenz, die Verwaltungsresultate und die Personalverhältnisse der einzelnen Küchen.
§ 17
Im Interesse einheitlicher und gemeinsamer Verständigung über wünschenswerte Änderungen in der technischen Leitung oder der Geschäftsführung versammelt der Zentralvorstand jährlich mindestens einmal im Oktober oder November die Lokalvorstände der einzelnen Küchen.
Zu den Verhandlungen haben die Vereinsmitglieder Zutritt.
Die Berufung muss außerdem jederzeit erfolgen, wenn zehn den Küchenvorständen angehörende Mitglieder es beantragen.
§ 18
Die ordentliche Generalversammlung, in welcher jedes persönlich erscheinende Mitglied eine Stimme führt, wird im Monat April abgehalten. Zu ihrem ausschließlichen Geschäftskreise gehört:
- die Wahl des Zentralvorstandes (§§ 9 – 11).
- die Feststellung des nächstjährigen Etats.
- die Dechargierung [Entlastung] der vorzulegenden Rechnung für das abgelaufene Geschäftsjahr, welches das Kalenderjahr ist.
- die Entgegennahme des jährlichen Geschäftsberichts des Zentralvorstandes, welcher der nächsten staatlichen Behörde einzureichen ist.
- jede Abänderung des Statuts (§ 20).
- die etwaige Auflösung des Vereins (§ 21).
§ 19
Der Zentralvorstand stellt die Tagesordnung für die Generalversammlung fest und erlässt durch seinen Vorsitzenden die Einladung zu derselben.
Anträge von Mitgliedern müssen auf die Tagesordnung gesetzt werden, wenn sie von mindestens 20 Mitgliedern gestellt und bis Ausgang Januar dem Zentralvorstand eingereicht sind.
Außerordentliche Generalversammlungen finden statt, so oft dies der Zentralvorstand nach Lage der Geschäfte für erforderlich erachtet, oder auf schriftlichen unter Angabe des Zwecks von mindestens 50 Mitgliedern gestellten Antrag.
Die Generalversammlungen sind durch folgende drei Zeitungen:
- die Vossische Zeitung,
- das Berliner Tageblatt,
- den Lokalanzeiger
je 2 mal unter Mitteilung der Tagesordnung bekannt zu machen; die letzte Bekanntmachung muss mindestens 8 Tage vor der Versammlung erfolgen.
Die Versammlung ist beschlussfähig, wenn mindestens 20 Mitglieder anwesend sind.
Hat eine Generalversammlung wegen Beschlussunfähigkeit verlegt werden müssen, so ist die demgemäß einzuberufende neue Generalversammlung schon bei Anwesenheit von 10 Mitgliedern beschlussfähig; es muss jedoch auf diese Folge bei der Einberufung ausdrücklich hingewiesen werden.
Bei Abstimmungen entscheidet die Mehrheit der Stimmen, bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden, ausgenommen die Fälle des § 20. Das Protokoll führt der Schriftführer und ist von dem Vorsitzenden, dem Schriftführer und zwei Mitgliedern des Vereins zu unterzeichnen.
Die Wahlen des Zentralvorstandes erfolgen durch Stimmzettel nach relativer Mehrheit, bei Stimmengleichheit durch das vom Vorsitzenden zu ziehende Los, sie können auch auf Antrag für einzelne Stellen durch Akklamation stattfinden, falls Widerspruch nicht stattfindet.
§ 20
Über Anträge, welche Statutenänderungen bezwecken, entscheidet die Generalversammlung durch Stimmenmehrheit von mindestens zwei Dritteln der Anwesenden. Doch müssen derartige Anträge bei Vermeidung des Ausschlusses für die betreffende Generalversammlung als Gegenstand der Tagesordnung in den im § 19 vorgeschriebenen Bekanntmachungen ausdrücklich und zwar unter Angabe der abzuändernden Punkte angegeben sein.
Ein Antrag auf Auflösung des Vereins kann nur vom Zentralvorstand gestellt werden und bedarf zu seiner Genehmigung einer Majorität von drei Vierteln der in der Generalversammlung erschienenen Mitglieder.
In der Einladung zu der Generalversammlung ist der auf Auflösung gerichtete Antrag bekannt zu machen.
§ 21
Abänderungen des Statuts, welche den Sitz, den Zweck oder die äußere Vertretung des Vereins betreffen, sowie Beschlüsse, welche die Auflösung des Vereins zum Gegenstande haben, bedürfen landesherrlicher Genehmigung.
Sonstige Statutabänderungen sind von der Zustimmung des Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg abhängig.
Im Falle der Auflösung des Vereins ist dessen Vermögen laut Beschluss der Generalversammlung und zwar in möglichster Übereinstimmung mit dem Zwecke des Vereins zu verwenden.
Der Zentralvorstand des Vereins der Berliner Volksküchen von 1866
Das vorliegende Statut wurde zum letzten Mal in der genannten Versammlung vom 30. April 1897 revidiert und genehmigt.