Nach welchem Grundsatz kochen wir?
Die nährende Kost, wohlschmeckend bereitet, ist die wesentlichste Aufgabe der Volksküche. Da sie nun zugleich auch die billigste sein soll, um von Jedem, der es bedarf benutzt zu werden, so kann sie auch nur die einfachste sein. Daher werden alle Stoffe, die zu einer Hauptmahlzeit dienen sollen, konzentriert in einer Speise zubereitet. Um aber auch dem Geschmack derjenigen Rechnung zu tragen, die gewohnt sind Suppe zur Anregung extra und Fleisch und Gemüse extra zu genießen, so geben wir bereits seit zehn Jahren auch geteilte Portionen à 25 Pfennig., nämlich einen Napf Suppe und dazu einen Teller Gemüse, Kartoffeln und gebratenes Fleisch.
Wir kochen aus dem Fleisch die nährenden Stoffe in die Brühe, aber nur so lange, dass das Fleisch noch Säfte genug als Nahrungsmittel enthält, nicht nur als Ballast dient. Wir verwenden die kräftige Fleischbrühe zur Bereitung der Kartoffeln und Gemüse, nachdem die beiden halbgar in Wasser gekocht und von letzterem abgegossen werden. Wir setzen dem Gemüse und den Kartoffeln alle fehlenden Nährstoffe durch
- Mehl,
- Fett,
- Zucker,
- Salz
zu und würzen sie mit
- Suppenkräutern,
- Wurzeln und
- Gewürzen.
Wir brauchen auch
- Liebigs Fleischextrakt und
- Maggis Suppenwürze.
Betrachten wir die Aufgabe der Ernährung, so ist es die, den Körper aufzubauen und zu erhalten, ihm Stoffe zuzuführen, die seine Organe nähren damit er Spannkräfte behalte, um leisten und des Lebens sich gesund erfreuen zu können. Die Organe bedürfen Nährstoffe zur Erzeugung und Erneuerung der Wärme, der Elektrizität und Bewegung. Die Organe sind aus einer größeren Anzahl Von Stoffen aufgebaut und zusammengesetzt, welche dem Stoffwechsel unterliegen, d.h. es scheiden täglich, stündlich, ja mit jedem Atemzug verbrauchte Stoffe aus unserem Körper, die durch solche ersetzt werden müssen, welche er zur Lebenserhaltung braucht.
Jeder Stoff welcher den Verlust eines zur Zusammensetzung unseres Organismus notwendigen Stalles verhütet, ist ein Nahrungsstoff. Ein Nahrungsmittel ist ein aus mehreren Nahrungsstoffen zusammengesetztes Gemenge. Die Summe aller uns von der Natur gegebenen Mittel, Speise und Trank herzustellen, nennen wir Lebensmittel. Dieselben teilen wir wiederum in solche, die vorzüglich nährende Substanzen enthalten: Nährmittel, und in solche, welche nur die Geschmacks- und Magennerven reizen und zur Verdauung beitragen: Genussmittel. Die Wissenschaft lehrt, dass es darauf ankomme, zu verdauen, was man isst, damit die Organe genährt werden. Die Stoffe, deren unser Körper bedarf, sind:
- Eiweiß zur Ernährung von Blut und Muskeln, um diese leistungsfähig zu machen;
- Zucker und Stärke als fettbildende Kohlehydrate zur Ergänzung der Wärme und zur Fettbildung;
- alkalische Salze, Mineralstoffe und Wasser zur Verdauung und Löslichkeit.
Die vorzugsweise Eiweiß, in Zusammensetzung mit anderen Stoffen, enthaltenden Nahrungsmittel nennt man stickstoffhaltige. Zu ihnen gehören:
- Fleisch,
- Ei,
- Milch,
- Käse,
- Mehl- und
- Hülsenfrüchte.
Die vorzugsweise Fettbildner oder Kohlehydrate enthaltenden Lebensmittel heißen kohlenstoffhaltige oder stickstofffreie; zu ihnen gehören solche, die vorzugsweise
- Stärkemehl,
- Zucker,
- Gummi,
- Cellulose und
- Fett
enthalten.
Die stickstoffhaltigen und kohlenstoffhaltigen Nährstoffe sind das hauptsächlichste Material zur Ernährung unserer Organe und werden weit über den augenblicklichen Bedarf in uns aufgenommen und als Reservestoff abgelagert. Aus der mannigfachen Mischung dieser Nährstoffe, wie die Natur sie uns in der Tier- und Pflanzenwelt bietet, zieht der Gesamtorganismus mittels der dazu bestimmten Organe des Verdauungsapparates diejenigen Stoffe aus, die er bei täglich sich wiederholender Ausübung des Lebensprozesses und der Arbeitsleistung verausgabt.
Die verdauten Stoffe unterliegen dann der Aufsaugung in das Blut und die allgemeine Säftemasse des Körpers, während die Produkte des Zersetzungsprozesses ausgeschieden werden. Bei der Ernährung großer Massen wird es nun darauf ankommen, ihnen solche Nährstoffe in den Hauptmahlzeiten zu bieten, welche sättigen, also das Bedürfnis von Hunger und Durst nachhaltig befriedigen und die Lebens- und Arbeitsfähigkeit steigern.
In dem Werk über Armee- und Volksernährung von Dr. Meinert, sagt derselbe: »Sollen die von Prof. Voit geforderten Nährstoffe in der Mittagskost der arbeitenden Klassen durch Volksküchen billig gewährt werden, so kann dies nur zum entsprechenden Preis oder mit kommunalen respektiven freiwilligen Zuschüssen geschehen, denn zu einer ausreichenden Kost, in welcher das Eiweiß auch in einem ausnutzbaren Zustand verabreicht werden muss, ist ein bestimmter Zusatz von Fleisch erforderlich. Bei den jedoch zur Zeit in Deutschland geltenden Fleischpreisen reduziert sich das Fleischquantum, welches man jetzt, d.h. ohne Zuschuss, in den Volksküchen geben kann, auf ein Minimum, wenn auch Einkäufe und Zubereitung im Großen, Ersparung der Miete für einzelne Küchen und Sparung an finanziellen Nutzen gewährt!«
Ich stimme insofern mit Herrn Dr. Meinert überein, dass sich die Nahrhaftigkeit der Speisen durch Fleischbeilage nur je im Verhältnis zu dem Selbstkosten- und Verkaufspreis wird herstellen lassen. Allein ich meine, bei einer vernünftigen Vermischung der eiweißhaltigen Hülsenfrüchte mit den notwendigen anderen Stoffen, um jenen die Schwerverdaulichkeit zu nehmen, dürfte es gelingen und ist tatsächlich in unseren Volksküchen gelungen, das richtige Verhältnis des Speisequantums für die Hälfte des Preises herzustellen, welches durch Fleischvermehrung bei der Portion herauskommen würde.