Die wirtschaftlichen und hygienischen Vorzüge der Volksküchen
Wie steht es im allgemeinen mit der Ernährung der Unbemittelten, welche die Masse der Bevölkerung ausmachen?
In der dürftigen Küche des Lohnarbeiters wurde bisher der Zubereitung der Speisen wenig Sorgfalt zugewendet, da die meisten Arbeiterfrauen kein Verständnis und keinen Unterricht im Kochen erhalten haben, wenn sie nicht vorher als Köchinnen in einem bürgerlichen Haushalt praktische Kenntnisse sich erwarben. Freilich ist es schon besser geworden, seit Kochkurse an die Volksschulen angeschlossen sind und die Mädchen für den häuslichen Beruf vorgebildet werden. Aber selbst mit diesen Kenntnissen wird in jedem ärmeren Haushalt Zeit, Kraft, Feuerung zersplittert, um eine Kost zu bereiten, die um so ungenügender ausfällt, je mehr im Kleinen für geringe Mittel Rohstoffe eingekauft werden können. Kommt noch hinzu, dass der Mann weit vom Hause arbeitet, so bringt Frau oder Tochter auf weite Strecken hin die zubereitete Speise. die erkaltet, fern vom Familientisch verzehrt wird. Bei einem großen Aufwand von Zeit und Versäumnis im Hause, bei oftmaliger Vernachlässigung der Kinder wird also im Hause des Lohnarbeiters die Küche geführt. Arbeiter, die keinen Haushalt haben, sind gezwungen, sich in kleinen Gastwirtschaften zu beköstigen, wo sie selten schmackhafte, gut nährende und genügende Kost erhalten und durch den herrschenden Trinkzwang zu Mehrausgaben veranlasst werden.
Außerdem trägt der mangelhafte Familientisch und die geringe Sorgfalt, welche die Frau des Unbemittelten darauf verwendet, am meisten bei, die Männer des Abends ins Wirtshaus zu treiben, wo Bier, Branntwein und andere Verlockungen die Einkünfte verschlingen, welche zur Verbesserung der Häuslichkeit hätten angewendet werden sollen. Statt Notpfennige für Krankheit und Arbeitslosigkeit zurückzulegen, wird der Lohn zum größten Teil in Wirtshäusern verschwendet.
Dieser Zersplitterung der Kräfte und Stoffe in den Einzelwirtschaften der Unbemittelten und der ungenügenden Beköstigung in kleinen Garküchen entgegenzuarbeiten, gibt es nur eine Abhilfe, es ist die Gründung von Anstalten für Massenspeisung zur wirtschaftlichen Erleichterung.
Solche Massenspeisungsanstalten dürfen den Familientisch nicht zerstören, sondern verbessern, sie geben die Möglichkeit, auch den Ärmsten eine gute und nahrhafte Kost zum niedrigsten Herstellungspreis zu verschaffen und Ersparnisse zu erzielen, die der Verbesserung ihrer übrigen Lebensverhältnisse zu Gunsten sind.
Wenn die Hausfrau des Tagelöhners sich nicht mehr bei karg zugemessenen Mitteln mit Einkauf, Berechnung, Zubereitung der Speisen abzuquälen hat, wird sie auf größere Sauberkeit der Wohnung, auf Pflege und Beaufsichtigung der Kinder, auf die Ausbesserung der Wäsche, auf das Behagen des Gatten mehr achten und sehen können, der, wenn er heimkehrt, den reinlich gedeckten Tisch und das sorgfältig zubereitete Essen der Volksküche vorfinden wird. Für den arbeitenden Menschen ist nur die beste und konzentrierteste Nahrung gut genug. Die Trunksucht nimmt nur da überhand, wo der Magen aus Mangel an regelmäßiger guter Ernährung eine andere Befriedigung sucht, die ihm später zur Gewohnheit wird.
Es liegt nun klar auf der Hand, dass Anstalten für Massenspeisung, welche alle Vorzüge des konzentrierten Großbetriebes zu Gunsten des Konsumenten ohne jeden Gewinn für die Unternehmer verwerten, — nicht nur billigere, sondern auch bessere Speisen und Getränke liefern werden, als der Einzelne oder kleine Gastwirtschaften beschaffen können. Es ist eine bekannte Tatsache, dass die letzteren sich nicht durch die verkauften Speisen, sondern durch Verkauf alkoholartiger Getränke erhalten. Die Vorzüge der gut kontrollierten Massenspeisung sind:
- Vereinfachung der Speisenzubereitung für dreihundert bis tausend Familien in einer Küche durch ein Dienstpersonal von vier bis zwölf Personen, statt das in dreihundert bis tausend Familien, 300 – 1.000 Frauen sich mit der Speisenzubereitung beschäftigen.
- Vorteilhafter Einkauf durch Engroslieferung von den besten Waren nur guter Qualität, während bei geringen Mitteln, mangelndem Verständnis und im Einzelkauf minderwertige Ware verhältnismäßig teuer bezahlt wird. Es lässt sich kaum ermessen, wie sehr der arme Mann allein dadurch in der Ernährung leidet.
- Wie mit den Speisezutaten verhält es sich mit Einkauf und Verbrauch der Feuerung. In großen Städten ist der Unbemittelte nicht einmal in der Lage, Raum zum Halten von viel Feuerung zu haben; er kauft im Kleinen ein und bezahlt Holz, Kohlen, Torf teurer wie der Reiche. Wieviel Volkseinzelvermögen wird daher gespart, wenn in einer Küche für dreihundert bis tausend Familien bei Engros-Einkauf, bei einem Feuer gekocht wird, statt bei Einkauf im kleinsten in dreihundert bis tausend Wohnungen. Aber der Zweck der Massenspeisung soll nicht nur größere Billigkeit, sondern schmackhafte Zubereitung und ein der Gesundheit entsprechendes Mischungs- und Mengenverhältnis sein.
Während nun in den dreihundert bis tausend armen Familien die Hausfrauen selbst bei Geschick und Sachverständnis dies nicht erreichen könnten, so wird in der Volksküche eine geschulte erprobte Köchin verantwortlich gemacht, nach bestimmten Rezepten zu kochen, beaufsichtigt durch die mit den Wirtschaftsverhältnissen vertraute Vorsteherin, kontrolliert durch täglich wechselnde Ehrendamen. Diesen Rezepten aber liegen die Gesetze der Ernährung in Menge und Mischung, selbstverständlich mit Berücksichtigung des Preises, zu Grunde.
Die Ideale einer gesunden Volksernährung lassen sich also, von einer großen Gemeinschaft ausgehend, für größeren Konsum berechnet, weit eher verwirklichen, als auf privatem Wege in der Haushaltung der Bedürftigen.
Die Volksküche ist die Beförderin der Mäßigkeit unter den Arbeitern. Während diese in kleinen Gastwirtschaften bei ihrem Mittagsmahl, wo die Speisen stark gewürzt werden, um den Mangel an Nährstoffen zu verbergen, zum Genuss von Bier und Branntwein angeregt werden und außerdem oft nach Tische Gelegenheit zum Kartenspiel finden, erhalten sie in den Volksküchen kein Getränk, als Wasser und halten sich beim Essen nicht länger auf, als es dasselbe erfordert. Auch haben die Speisenden, da der Magen nicht nur einen Reiz, sondern seine Befriedigung erhielt, kein solches Verlangen nach erhitzenden Getränken. Sie können daher, was sie in den Volksküchen ersparen, für bessere Wohnung und zur Befriedigung anderer Lebensbedürfnisse verwenden.
Der Arbeiter nimmt im allgemeinen die Verpflichtungen, die er gegen seine Familie zu erfüllen hat, zu leicht und vergisst nur zu oft, dass seine Arbeitskraft kein unverwüstliches Kapital ist, sondern, dass Zeiten kommen, wo Krankheit und Arbeitslosigkeit einen Notpfennig wünschenswert machen.
Die Volksküchen sind das vortreffliche Beispiel für die Arbeiterwelt, die bisher einzige Konsumanstalt, in welcher das Prinzip verfolgt wird, nicht durch sofortige Verteilungen von Dividenden den Nettogewinn an Einzelne zu überweisen, sondern denselben in selbstlosester Weise als ein Kapital für das Volk, als einen Sparpfennig für seine Notzeiten, als den Lebensnerv weiterer Versuche und dauernden Bestehens anzulegen. — Was bei ähnlichen Unternehmungen in die Hand der Aktionäre fließt, wird hier rein und voll den Konsumenten erhalten. —
Diese hohe volkswirtschaftliche, diätetische und sittliche Bedeutung der Berliner Volksküchen wird noch von sehr wenigen verstanden, am wenigsten von dem speisenden Publikum.
Es ist besser zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse des Unbemittelten beizutragen, als seine Unzufriedenheit aufzustacheln, es ist besser, dass sich die verschiedenen Stände brüderlich die Hand reichen zur sozialen Hilfe als durch Agitation des Klassenhasses die Kluft zu erweitern.
Die Volksküche will zu der einfachen, naturgemäßen Nahrung zurückführen, wo die Nährstoffe vegetabilisch und animalisch gut gemischt, in einem sauber und schmackhaft bereiteten Gericht konzentriert, gereicht werden. Die Stammgäste der Volksküchen gestehen, dass diese einfache gute Kost sie kräftig und gesund erhält und dass sie dadurch auch mäßiger im Trinken alkoholartiger Getränke geworden sind, da sie solche in den Volksküchen nicht erhalten, wohl aber eine Tasse Kaffee oder Kakao für 5 Pfennig, die viele zum Nachtisch wählen. Die Volksküchen haben auch auf die Speisezubereitung in den kleinen Gastwirtschaften und Hauswirtschaften verbessernd gewirkt.
Die Volksküchen haben den Vorzug, dass sie dem forschenden Chemiker die ersten Anhaltspunkte zur Untersuchung der Speisen für die Massen gaben, denn bei Berechnung der Kostsätze wird hier bei gutem Material die beste und rationellste, weil konzentrierteste Ausnützung der Nahrungsmittel gegeben, und da in unseren Anstalten auch eine Abwechselung von mehr als achtzig Gerichten statt findet, von denen täglich mehrere bereitet werden, so ist auch die Bedingung des Physiologen erfüllt, durch solche Variationen zum Behagen und Wohlbefinden der Speisenden beizutragen, deren Esslust darunter leiden würde, wenn der Küchenzettel zu eintönig wäre. Glücklich ist durch die Volksküche die Neigung des armen Mannes beseitigt, sich vorwiegend von Kartoffeln und Brot zu nähren, wogegen Hülsenfrüchte mit ihrem hohen Gehalt an Eiweiß neben den Kohlehydraten immer mehr Lieblingsspeise des Arbeiters werden. Freilich konnte der Verein der Berliner Volksküchen nicht an seinen vor 34 Jahren aufgestellten Kochrezepten festhalten, ohne dem Zeitgeist und den höheren Ansprüchen der arbeitenden Klassen Rechnung zu tragen und viele Neuerungen einzuführen. — Während früher 95 von hundert Arbeitern Portionen à 15 Pfennig aßen und nur etwa fünf Portionen à 25 Pfennig, die aus einem Liter, in Bouillon gekochtem, Gemüse und drei Stückchen Fleisch bestand, verlangt ⅓ der Konsumenten jetzt geteilte Portionen, d.h. einen Napf Suppe und einen Teller gebratenes Fleisch mit Gemüse und Kartoffeln, die für 25 Pfennig geliefert werden.
Was in den Volksküchen durch den Konsum, durch die wirtschaftlichen Ersparnisse, durch die selbstlose umsichtige Verwaltung gewonnen wird, das verwaltet der Vorstand des Vereins als Eigentum des Volkes, damit bei allen Erweiterungen. unvorhergesehenen Verlusten und Zeitströmungen das Bestehen dieses segensreichen Institutes auch für die Zukunft gesichert sei, wenn die jetzigen Mitarbeiter längst nicht mehr sind und andere treue Volksfreunde sich dem Werke in Redlichkeit widmen.
Es gibt Viele, die daran zweifelten, dass Frauen und Männer auf die Dauer bereit sein werden, den Volksküchen ihre täglich wiederkehrende persönliche Hilfe, ihre freiwillige, gewissenhafte Arbeit und Aufsicht zu widmen, die, wie jetzt, den Einkauf, die Kontrolle, die Beaufsichtigung, die einheitliche Verwaltung in Händen haben, aber ein Beispiel von 34 Jahren hat doch genügend bewiesen, dass die werktätige Menschenliebe nicht so leicht erlahmt.
Allerdings hängt das Bestehen der Volksküchen von der Uneigennützigkeit seiner Vorstandsmitglieder und Vorsteherinnen ab, und das ist zugleich ihre höchste sittliche Bedeutung.
Es ist die Hingebung und das Zusammenwirken der verschiedenen Persönlichkeiten beider Geschlechter ohne Unterschied des Standes, der Konfession oder der politischen Gesinnung, unabhängig von Vermögensverhältnissen, da nicht materielle Beiträge, sondern persönliche Hilfe verlangt wird, welche hier die selbstlose Liebe, der Kultus der Humanität vereint, um jedem mit gefälliger Hand und freundlichem Blick das Mittagsmahl zu reichen, dem nicht am häuslichen Herd der Tisch gedeckt ist! Und diese Mithilfe edler Frauen und Jungfrauen hat das Publikum in den Volksküchen stets sittlich beeinflusst, dass es sich im allgemeinen durch anständiges Verhalten auszeichnet. Nach Muster der Volksküchen sind sehr viele Unternehmungen bald von Privatpersonen, bald von Vereinen, Behörden oder Fabrikbesitzern ins Leben getreten. —
Ob es sich für unseren Verein auch in Zukunft wird durchführen lassen die Speiseanstalten ohne materielle Mitgliedsbeiträge, nur durch den Betrieb, zu erhalten, wie bisher, bezweifle ich, da in Berlin die Mieten seit 1866 mehr als um die Hälfte gestiegen sind und ebenso auch die Arbeitslöhne. Damals hatten wir Kellerlokale, die nach der neuen Bauordnung ganz aufhören. Parterreläden mit wirtschaftlichen genügenden Nebenräumen kosten gegen frühere Preise vierfache Miete.
Es wird, um das Prinzip der Selbsterhaltung zu wahren, nichts übrig bleiben, als die Portionspreise zu erhöhen. Seit 1891 wird bereits jedes Jahr vom Reservefonds zugelegt, und da wir nach unserm Statut keine Speiseanstalt offen halten, dürfen, die während eines Jahres dauernden Zuschusses bedarf, so sind in den letzten drei Jahren 6 Volksküchen geschlossen worden.