Zur Einführung
Die stets erneute Anfrage:
- »Wie richtet man Volksküchen ein?«
- »Wie ist ihre Verwaltung, ihre Kontrolle und Geschäftsführung?«
- »Welches sind die ungefähren Kosten?«
und andere Fragen mehr, veranlassen mich, nach 34-jähriger Erfahrung in den von mir gegründeten Berliner Volksküchen, dieses Hilfsbuch in dritter vermehrter und gesichteter Auflage herauszugeben, das über jede Einzelheit in der als musterhaft gültigen Geschäftsleitung des Berliner Volksküchenvereins und seiner Anstalten Auskunft gibt und den ganzen Apparat unserer Verwaltung und Kontrolle, sowie die Organisation des Vereins, seine Leitung und Geschäftsordnungen für die tätigen Mitglieder enthält. Ich füge dieser Auflage auch die Geschichte des Vereins und die Kochrezepte unserer Speiseanstalten bei.
Da unsere Anstalten von 1866 bis 1900 dem Prinzip der Selbsterhaltung treu, zu ihrem Betriebe von keiner Seite Geldbeiträge annahmen und dennoch einen Reservefonds dem Volke gespart haben, der in Zeiten der Teuerung gestattete, dieselben Portionspreise zu nehmen, so wird es wohl nicht anmaßend klingen, wenn ich sage: Unsere Einrichtungen verdienen die Aufmerksamkeit aller Derer, die sich für Massenspeisung interessieren, ähnliche Anstalten leiten und Vereine oder Gesellschaften organisieren wollen. Allerdings haben sich die Verhältnisse in den letzten Jahrzehnten mächtig in Berlin geändert. Die Mieten sind ungemein gestiegen und stellen sich für die Speiseanstalten des Volksküchenvereins um so höher, als wir früher nur Kellerlokale hatten, die bei der neuen Bauordnung und den größeren Ansprüchen der Konsumenten jetzt nicht mehr gemietet werden können, sondern Parterrelokale, welche hier schwer unter 3000 Mark zu haben sind.
Zur Verwirklichung einer Idee kann man wohl ein System aufstellen, allein die Ausführung wird stets von den örtlichen Verhältnissen und Mitteln, sowie von den leitenden Persönlichkeiten abhängen. Jedes gegebene Muster wird man den gegebenen Verhältnissen anpassen müssen und nur bedingungsweise nachahmen können. Alles Menschliche ist unfertig und entwicklungsfähig, also will ich keineswegs behaupten, dass dies bei den Volksküchen nicht der Fall sei. Die Hauptsache bleibt, die allgemeinen Gesichtspunkte bei Vereinigungen zur Errichtung solcher Anstalten, die für große Massen berechnet sind, festzuhalten.
Küche und Wirtschaft sind das ureigenste Gebiet der Frauen, es wird daher zur zwingenden Notwendigkeit, ihnen die Leitung und Beaufsichtigung der Speiseanstalten für Massen anzuvertrauen. Wo Armen-, oder Volks- und Arbeiterküchen nur von Männern, ohne Zuziehung leitender Frauen geführt werden, können sie nicht gedeihen, es fehlt die Kontrolle des Vorrats, der Blick ins Kleine, die Sorgfalt in der Zubereitungsweise, die Beaufsichtigung des Dienstpersonals, die wirtschaftliche Verwendung der Reste usw. Mit Beteiligung der Frauen im freiwilligen Dienst der Volksküchen und der Notstandsküchen ist ihr Wirken in ein angemessenes Gebiet der öffentlichen Wohlfahrt getreten, aus der Hauswirtschaft in die Volkswirtschaft. Wie im Hause Mann und Frau gemeinsam für das Familienwohl arbeiten, er in Vertretung nach außen, sie als leitende waltende Kraft im Innern, so soll auch die Führung und Verwaltung der Volks- und Notstandsküchen beiden Geschlechtern Gelegenheit gedeihlichen Zusammenwirkens geben. Hier verweise ich auf die Verwaltung in dem Berliner Volksküchenverein, die sich in den 34 Jahren als musterhaft bewährt hat. Für Errichtung nur einer Anstalt wird die Verwaltung selbstverständlich vereinfacht werden und fallen dann die bedeutenden Generalunkosten fort, die für den Betrieb und die Verwaltung mehrerer Küchen durch ein Geschäftsbüro, Beamte, Mieten, Feuerung und Beleuchtung entstehen.
Berlin, den 1. März 1900