X. Über die Ursachen des Verderbens der Lebensmittel
Zur Ökonomie unseres Haushalts gehört hauptsächlich er Zweig der Sparsamkeit, nichts verderben, nichts umkommen zu lassen. Dennoch wird teils aus Vernachlässigung, durch das, was auf diese Weise verloren geht, recht viel verschwendet. Wir wollen uns daher mit den Ursachen des Verderbens bekannt machen, um diesem entgegentreten zu können.
Jede pflanzliche und tierische Substanz, welche wir zur Ernährung und zum Genuss anwenden, geht in mehr oder minder kurzer Zeit in Zersetzung über,k welche wir nach Art derselben mit verschiedenen Namen bezeichnen. Wir unterscheiden die Zersetzungsprozesse der Gärung, der Fäulnis und der Verwesung.
Das Sauerwerden der Milch, des Bieres, des Weines, der Fruchtsäfte rechnet man zu den Gärungserscheinungen. Sie deuten auf eine Veränderung, welche von der Entwicklung eines Gases begleitet ist; die Gärung kann aber nicht immer als Verderben aufgefasst werden, wir gedenken hierbei der Verwandlung von Traubenmost in Wein, von Bierwürze in Bier. Weil aber die Gärung meist der Beginn der Zersetzung ist, haben wir ihr im Haushalt die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Mit dem Begriff Fäulnis verbinden wir den eines charakteristischen widerwärtigen Geruchs, der durch die Entstehung gewisser flüchtiger Körper bei der Zersetzung organischer Substanzen bedingt ist, wie bei Fleisch und Eiern, die längere Zeit liegend, zu faulen beginnen.
Die Verwesung tritt nach der Fäulnis ein, wenn sich ein Körper durch andere Verbindungen, die er eingeht, wieder in seine Elemente auslöst, das heißt wenn er zerfällt. Hierbei beobachtet man, dass vielfach zusammengesetzte Körper in immer einfachere zusammengesetzte verwandelt werden, bis zuletzt nur die einfachsten chemischen Verbindungen übrig bleiben. Hervorgebracht und gefördert werden Gärung, Fäulnis und Verwesung durch die Einwirkung des Wassers, der Wärme und der Luft.
Alle Körper, welche wir kennen, sind Elemente, das heißt Grundstoffe und Verbindungen von solchen. Von etwa 69 in der Chemie bekannten Elementen finden wir etwa 20 in immer neuen Verbindungen in den drei Reichen der Natur, den Pflanzen, Tieren und Mineralien, aus welchen wir unsere Nahrungs- und Genussmittel holen. Doch vor allem sind es folgende Elemente, aus denen sich dieselben aufbauen:
- Der Kohlenstoff, chemisches Zeichen: C. Carbonium, der die Grundlage alles Organischen bildet;
- der Wasserstoff, chemisches Zeichen: H. Hydrogenium, der den Hauptbestandteil des Wassers bildet;
- der Sauerstoff, eine leicht brennbare Luft, der in den meisten Tieren und Pflanzen vorkommt. Sein chemisches Zeichen: O. Oxygenium, welcher in Verbindung mit dem Wasserstoff das Wasser bildet, der sich in freiem Zustand in der Atmosphäre befindet und stets das Bestreben hat, Verbindungen mit anderen Stoffen einzugehen;
- der Stickstoff N. Nitrogenium, ein Bestandteil der atmosphärischen Luft, vieler organischer Körper und mancher Mineralien, der im Gegensatz zum Sauerstoff sich nur schwierig mit anderen Stoffen, und zwar nur unter besonderen Verhältnissen verbindet.
Außer diesen vier Elementen finden wir in den organischen Körpern Schwefel S. Sulphur, Phosphor P. Phosphor, und einen unverbrennbaren Rückstand, den wir Asche nennen und in welche wieder mit Verbindungen aus Kohlenstoff und Sauerstoff (Kohlensäure) oder Phosphor und Schwefel mit Sauerstoff zu Verbindungen vereinigt sind, welche der Chemiker Salze nennt.
Von Metallen finden wir in den Nahrungsmitteln:
- Eisen,
- Kalium,
- Natrium,
- Magnesium,
- Calcium und
- Mangan.
Die kleinsten Teilchen der Elemente nennt der Chemiker Atome und die Verbindung zweier oder mehrerer Teilchen Atome nennt er Molekül. Alle Produkte des Tier- und Pflanzenreichs lassen sich in Gruppen von Molekülen zerlegen.
Die chemischen Verbindungen, welche als Resultat der mehr oder minder großen Reihe von Verbindungen entstehen, wenn ein Körper durch Gärung, Fäulnis oder Verwesung zersetzt wird, sind Ammoniak und Schwefelwasserstoff. Eine Zersetzung, bei welcher Kohlensäure und Wasserstoff gebildet wird, bezeichnen wir als Gärung, während die Entwicklung übelriechender Kohlenwasserstoff-Verbindungen als Fäulniserscheinungen bezeichnet werden. Nach der jetzt als allgemein richtig geltenden Anschauung ist zum Eintritt jedes Gärungs- und Fäulnisprozesses, neben dem der Zerstörung anheimfallenden Stoffe die Gegenwart eines besonderen Körpers erforderlich, den man Gärungserreger oder Ferment nennt. Nach ihrer Beschaffenheit teilt man die Fermente in chemische und organisierte. Die erstgenannten bestehen aus chemischen Verbindungen, die in den sich zerlegenden Körpern schon vorhanden sind und erst in Wirksamkeit treten, wenn Wasser und Wärme hinzutritt oder auf dieselben einwirken.
Die organisierten Fermente — und diese sind bei dem Verderben der Nahrungsmittel die beachtenswertesten — sind lebende Wesen, die man als Pflanzen oder Tiere niederster Art bezeichnet. Erst in neuester Zeit sind resultatvolle Forschungen über diese organisierten Fermente angestellt.
Zu den chemischen Fermenten gehört die Diastase, welche sich beim Keimen des Getreides bildet und die Fähigkeit hat, das Stärkemehl in Zucker und Dextrin überzuführen, eine Eigenschaft, auf welcher eine Anzahl höchst wichtiger Gewerbe, wie z.B. die Branntweinbrennerei und die Bierbrauerei beruhen.
Der Prozess der Verdauung im menschlichen und tierischen Körper scheint hauptsächlich auf Wirkung chemischer Verbindungen zu beruhen, die als chemische Fermente tätig sind. In gärenden und faulenden Gegenständen entwickeln sich lebende, durch das Mikroskop anschauliche Wesen von höchst einfacher Körperbildung in großer Anzahl, welche, wie die neueste Wissenschaft nachgewiesen hat, nicht zufällig entstehen, weil sie da Nahrung finden, wo Gärung und Fäulnis vorhanden ist, sondern dass Gärung und Fäulnis nur entstehen, wo diese Organismen sich ansiedeln und Verbindungen vorfinden, welche sie zu zerlegen vermögen.
Zu diesen organisierten Fermenten gehört der Schimmelpilz. Der weißliche oder grünliche, fleckige Überzug, welchen wir auf altem, an feuchten Orten aufbewahrtem Brot, auf sauren Gurken und so weiter sehen, ist der gemeine Schimmel;aus diesem steigen feine Fäden auf, die am oberen Ende kugelförmige Gebilde haben, aus denen sich kleine Körner entwickeln, welche der Samen oder der Keim der Schimmelpflanze sind, man bezeichnet sie mit dem Namen Sporen; dieselben vervielfältigen sich in ungeheuer schneller Weise.
Die Substanzen, auf denen der Schimmel wuchert, werden in Kohlensäure und Wasser zerlegt, ohne dass sich ein übler Geruch entwickelt, erst wenn die Schimmelpflanze sich entwickelt hat, tritt der unangenehme, ihr eigene dumpfe Geruch ein. Die Schimmelpilze gedeihen noch in einer Luft, welche so wenig Sauerstoff enthält, dass, wenn Pflanzen in derselben wären, dieselben gleich sterben müssten. Ein echt chemisches Ferment ist der Gärungspilz, zu denen die Hefe gehört, welche man auch gemeines Alkoholferment nennt. Es besteht auf kegeligen Bläschen, welche die Eigenschaft haben, sich durch Sprossung sehr schnell zu vermehren. Eine dieser Bläschen, die sogenannte Mutterzelle; treibt eine Erhöhung aus, welche sich abschließt und sich weiter vermehrt. Die Hefe findet sich hauptsächlich in Flüssigkeiten, welche Eiweißstoffe und Salze enthalten und die in Zucker aufgelöst sind, den sie in Alkohol (Weingeist) und Kohlensäure zerlegt. Auf solche Flüssigkeiten, die Essig enthalten oder in denen Zucker in Alkohol aufgelöst ist, findet sich häufig noch ein anderer Pilz, der Rahmpilz vor, welcher den Weingeist und die Essigsäure in Kohlensäure und Wasser zersetzt und die letzte Zerstörungsarbeit ausübt.
Das Mycoderma aceti, Essigferment, welches auch auf zuckerhaltigen Flüssigkeiten wuchert, setzt diese in Essigsäure um. In anderen Flüssigkeiten, die Milch enthalten, siedelt sich ein Ferment an, das Milchsäure aus Zucker hervorbringt. Ebenso entsteht die Buttersäure durch ein Ferment.
Die Keime der zerstörenden Fermente finden sich in unzähliger Menge in der Luft verbreitet vor und besitzen die Eigenschaft, beim Austrocknen ihre Keimfähigkeit so außerordentlich zu bewahren, dass sie imstande sind, sich noch nach sehr langen Zeiträumen zu Pflanzen auszubilden und zu vermehren.
Man hat aus Staub, welcher Jahrhunderte lang trocken lag, bei Hinzufügung der notwendigen Wassermenge sich noch Fermente entwickeln sehen, deren Keime in dem Staube lagen. Dass die Erscheinungen der Gärung und Fäulnis durch die Organismen bedingt werden, ist durch unzählige Versuche bewiesen. Um also die Gegenstände vor Verderben zu schützen, muss man sie von der Luft abschließen, welche Pilzkeime entwickelt und vor Einwirkung des Wassers und der Wärme hüten.
Bringt man Körper, welche an der Luft in kürzester Zeit verderben, in Gefäße, in denen man sie bis zur Siedehitze erwärmt und luftdicht dann verschließt, so bleibt der Inhalt der Gefäße, also z.B. Früchte, Fruchtsaft, Milch, Fleischextrakt, Gemüse, so lange unverändert, bis das Gefäß wieder geöffnet wird und die Luft Zutritt hat. Nämlich durch die hohe Temperatur werden alle Keime von Fermenten, welche in der im Gefäß eingeschlossenen Luft enthalten sind oder in der Flüssigkeit schon im Begriff waren, sich zu entwickeln, getötet. Sobald aber Luft in das Gefäß eindringen kann, werden neue Sporen hineingelassen. Bedeckt man die in den Gefäßen enthaltene Flüssigkeit oder die Stoffe mit einem Baumwollpfropfen, so werden die Fermentkeime zurückgehalten, die Luft wird gleichsam filtriert und es findet keine Zersetzung statt.
Die meisten Konservierungsmethoden unserer Nahrungsmittel beruhen auf hermetischem Verschluss, um die Luft und die in ihr enthaltenen Pilzkeime, Sporen, von den leicht zersetzbaren Stoffen zurückzuhalten oder die in ihnen bereits enthaltenen Keime durch Kochen zu vernichten.