Ernährung und Kochkunst.
Das notwendigste Studium für die Frau ist das der Ernährungsgesetze, von deren Befolgung die Gesundheit abhängt. (∗ Wir empfehlen Lina Morgensterns Ernährungslehre als Basis der Gesundheitspflege. Verlag Schall & Rentel, Berlin.) Die Kunst, die jedes Mädchen üben soll, ist die der Speisebereitung. Denn die Küche ist das Laboratorium der Hausfrau, in der sie täglich für die ihrer Obhut anvertrauten Angehörigen und sich selbst die Stoffe verarbeitet, die den Körper aufbauen, erneuern und kräftig erhalten, den Geist erfrischen und leistungsfähig machen sollen. Hier soll sie für die Ernährung der Familie verständnisvoll wählen, prüfen, abwägen und die Zubereitung überwachen. Es kommt dabei nicht auf raffinierten Gaumenkitzel an, sondern auf feinen Geschmack, der alles harmonisch zusammenstellen, Abwechslung zu geben versteht und bei genauer Berechnung doch dafür sorgt, dass Nährendes in genügender Menge in den Speisen vorhanden sei und dass von Genussmitteln solche angewendet werden, die, ohne Schaden zuzufügen, die Geschmacks- und Magennerven anregen und reizen, um die Esslust zu erhöhen.
Nirgends rächt es sich mehr, wenn man gedankenlos und mechanisch arbeitet, als in der Küche. Es genügt hier nie, der Gewohnheit zu folgen oder der in der Familie herrschenden Überlieferung, sondern es gilt, sich bewusst zu sein, warum man etwas so und nicht anders zubereiten könne, warum man so viel Zeit, nicht mehr und nicht weniger zur Fertigstellung eines Bratens von der bestimmten Art bedarf usw.
Die Tüchtigkeit einer gut kochenden Frau besteht nicht darin, dass sie eine Anzahl erlernter Speisen vorzüglich zu bereiten verstehe, wenn sie nicht zugleich die Grundsätze von deren Zusammenstellungen kennt, und darauf hin neue erfinden und zusammenstellen lernt. Gleich wie der Komponist erst auf Grund der Theorie seine Kunstwerke schafft, so muss man durch das Studium der Kochkunst, durch das Eindringen in den Geist derselben feste Basis für deren Ausübung gewinnen. Dieses Studium ist aber nicht so einfach, als man anzunehmen scheint, Man muss suchen Kenntnisse zu erwerben:
- Von der Feuerungsanlage, dem Feuerungsmaterial und dessen bester, ausgiebigster Ausnützung.
- Von den Nahrungs- und Genussmitteln, ihren Eigenschaften und Wirkungen, sowie ihrer mannigfachen Verwendung.
- Von der Mischung der Lebensmittel nach den Gesetzen der Ernährung, wie nach denen des guten Geschmacks.
- Von den Umwandlungen, welche durch das Kochen hervorgebracht werden, die wenn wir sie unbeachtet lassen, unsere ganze Kunst zu Schanden machen.
- Ob es gilt, den Saft und Wohlgeschmack eines bestimmten Nahrungs- oder Genussmittel in eine Flüssigkeit hinüberzuleiten oder in eine Mischung zu fügen, oder ob es gilt, in dem zuzubereitenden Gegenstand den Saft und Wohlgeschmack zusammenzuhalten.
Welche Mittel wendet man im ersteren, welche im letzteren Falle an? Im ersteren Falle die Aufweichung des Stoffes durch allmähliche Erhitzung; Aufsetzen der Speisen mit kaltem Wasser, das wir allmählich zum Sieden bringen; im zweiten Falle durch Einlegen des Gegenstandes in kochendes Wasser oder kochendes Fett.
Man stelle es sich nicht so leicht vor, den Grundsatz der Saftentziehung oder des Saftzusammenhaltens durchzuführen, doch lässt er sich auf alle Nahrungsmittel anwenden.